my life in music
Er ist so etwas wie der Gottvater der Filmmusik: Der italienische Komponist Ennio Morricone hat mit seinen Kompositionen mehr als 500 Filmen seinen eigenen Stempel aufgedrückt. Was wären Cinema Paradiso, Es war einmal in Amerika oder Spiel mir das Lied vom Tod ohne ihre packende Filmmusik? Ein halber Spaß!
Denn gute Filmmusik kann unterhalten, verstärken, packen und berühren. Einer der bekanntesten und rührigsten Komponisten in diesem Bereich ist der mittlerweile 86-jährige Italiener Ennio Morricone, der über ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte mitgeschrieben und geprägt hat – und mit my life in music seine bekanntesten Kompositionen mit großem Orchester und Chor live präsentiert.
Ann Kathrin Bronner: Maestro, gibt es unter all den Filmen, für die Sie die Filmmusik geschrieben haben, einen Lieblingsfilm?
Ennio Morricone: Die Antwort ist sehr einfach: Alle Filme, die ich gemacht habe, sind meine Lieblingsfilme, denn sonst hätte ich sie nicht gemacht.
AKB: Haben Sie sich die fertigen Filme später dann auch im Kino angeschaut?
EM: Na klar! Ich habe sie natürlich schon gesehen, bevor sie ins Kino gekommen sind, aber natürlich nur während des Schnitts. Den fertigen Film zu sehen ist eine Freude für mich. Das muss ich tun, das ist einfach Pflicht!
AKB: Gehen Sie denn generell gerne ins Kino?
EM: Ja, ich gehe sehr gerne ins Kino, aber leider fehlt mir aufgrund meiner vielen Arbeit manchmal die Zeit. Aber die wichtigsten Filme der Saison schaue ich mir natürlich im Kino an.
AKB: Wie würden Sie denn die Funktion von Filmmusik beschreiben?
EM: Diese Frage kann ich mit einem Satz beantworten: Filmmusik ist nützlich, damit der Zuschauer das verstehen kann, was auf der Leinwand NICHT gesagt wird und was man NICHT sieht.
AKB: Gibt es im Film dann quasi eine zweite Ebene, die durch die Musik hinzugekommen ist?
EM: Von einer zweiten Ebene würde ich nicht sprechen. Ich würde eher sagen, es ist eine erste Gesamtebene, die zusammen mit dem Film existiert. Auch wenn natürlich klar ist, dass die Musik später hinzugefügt wurde. Sie existiert in der Realität des Filmes nicht, sie ist von abstrakter Natur, sie kommt aus einem unbekannten Jenseits und ist deshalb immer etwas geheimnisvoll.
AKB: Das heißt, mit Filmmusik kann oder könnte man einen Film auch anders erzählen und seine Aussage verändern?
EM: Sicher ist das möglich. Wenn man das will! Ein Beispiel: Es kann passieren, dass in einem statischen Teil eines Films sehr dynamische Musik verwendet wird – und genauso auch umgekehrt. Diesen Gegensatz kann man sehr gut darstellen. Nehmen Sie eine Figur, die gerade wegrennt. Das ist ein dynamischer Vorgang, ein dynamisches Bild. Wenn die Musik zu dieser Szene hingegen statisch, ruhig ist, können Sie dem Publikum zum Beispiel zu verstehen geben, wie sich diese Figur in diesem Moment fühlt. Auch wenn sich die Figur in dem Moment dynamisch verhält, kann die Musik trotzdem ruhig sein, um so das Innere der Figur zu zeigen und widerzuspiegeln.
AKB: Wenn Sie Filme sehen, deren Musik von anderen Komponisten geschrieben wurde, merken Sie dann, wenn die Musik nicht zum Film passt?
EM: Ich bin natürlich in erster Linie Komponist, aber ich bin eben auch ein Zuschauer. Manchmal bin ich sicherlich kritisch, aber manchmal bin ich auch sehr zufrieden und freue mich über das, was ich sehe und höre. Was passieren kann, ist, dass ich mit der Technik sehr zufrieden, aber mit der Wahl der Interpretation der Musik nicht einverstanden bin. Aber das ist dann natürlich komplett unabhängig von der Technik, sondern ist dann eine reine Frage des Geschmacks.
AKB: Glauben Sie denn, dass Filmmusik nicht den Stellenwert hat, den sie tatsächlich verdient?
EM: Ich kann gut verstehen, dass das so ist. Filmmusik ist dazu bestimmt, einem anderen Hauptwerk zugeordnet zu sein. Aber letztlich hängt es auch von demjenigen ab, der sie schreibt (lacht)!
AKB: Sie hatten, als Sie Anfang der Sechzigerjahre mit der Komposition von Filmmusik begannen, keine Vorbilder, Ihre Musik war etwas ganz Neues. War das schwierig für Sie?
EM: Nein, ich muss sagen, das war nicht schwierig. In meine Filmmusik sind Dinge eingeflossen, die sozusagen schon in meinem Kopf waren, Erfahrungen, die ich inner- und außerhalb der Schule gesammelt hatte. Ich hatte für Orchester arrangiert, hatte natürlich auch im Bereich der italienischen canzone gearbeitet, und all diese Erfahrungen waren sehr wichtig für mich. Ich habe gar nicht realisiert, dass Filmmusik für mich etwas Neues war.
AKB: Sie sind ja nicht ausschließlich Filmkomponist, sondern haben sich auch als Komponist absoluter Musik einen Namen gemacht. Gehen Sie an die Komposition von Filmmusik anders heran als an die von absoluter Musik?
EM: Ja, absolut! Wenn ich Musik quasi für mich schreibe, habe ich andere Gedanken, andere Eindrücke, eine andere Intention. Ich bin dann viel freier.
AKB: Haben Sie trotzdem Bilder im Kopf?
EM: Nein, wenn ich absolute Musik schreibe, gibt es keine Bilder. Wenn ich Filmmusik komponiere, denke ich natürlich an Bilder, bei absoluter Musik nicht. Es gibt dann eine musikalische Idee, aber eben auch nur eine musikalische.
AKB: Interessant, dass Sie das so trennen. Sind es dann auch zwei verschiedene Kompositionstechniken?
EM: Nein, es handelt sich nicht um verschiedene Techniken, ich benutze dieselbe Technik. Es geht nicht um die Technik, es geht um die Freiheit des Denkens. Bei der absoluten Musik haben Sie als Komponist jegliche Freiheit, bei der Filmmusik sind Sie immer mit dem Bild konfrontiert.
AKB: Macht es Sie manchmal traurig, dass Ihre absolute Musik nicht so bekannt ist wie Ihre Filmmusik?
EM: Man kann das auf unterschiedliche Weise betrachten. Eigentlich muss man den Gedanken umdrehen: Die Filmmusik IST zeitgenössische Musik, sie wird ja heute geschrieben. Und ich möchte sogar noch weitergehen, indem ich hinzufüge: Das Kino von heute ist die ideale wagnerianische Ausdrucksform, um alle Künste zu vermischen. Das Kino lässt alle Künste heranwachsen, so wie es Wagner in seinen Opern getan hat.
AKB: Was konnten Sie aus Ihrem klassischen Musikstudium für die Komposition von Filmmusik übernehmen? Was war für Sie später für Ihre Filmkompositionen besonders hilfreich und vielleicht auch ein Vorteil gegenüber anderen Filmmusik-Komponisten?
EM: Wir müssen uns erst einmal darüber verständigen, was ein Kompositionsstudium bedeutet: Sie studieren zunächst die Technik und die Geschichte der Komposition durch Jahrhunderte, beginnend mit der Gregorianik, über Mozart, Pergolesi und viele andere Komponisten bis in die Moderne. Im Laufe des Studiums bilden sich dann die Vorlieben für manche Komponisten heraus – und das sind die Einflüsse, die man ein Leben lang mit sich trägt.
AKB: Übertragen Sie dann quasi den Stil von Mozart oder Strawinsky auf die Filmmusik?
EM: Unbewusst: Diese Einflüsse kehren indirekt in meiner Kinomusik zurück, aber sie kommen nicht aus dem Stift. Sie kommen aus der Seele!
DISKOGRAPHIE (Auswahl)
Various Artists
The Essential Ennio Morricone
2014 Deutsche Grammophon
EAN 00028948086979
TERMINE
10.02.2015 • Berlin, o2 World
15.02.2015 • Wien (A), Wiener Stadthalle
18.02.2015 • Stuttgart, Schleyer-Halle
26.03.2015 • Oberhausen, König-Pilsener-ARENA
28.03.2015 • Hamburg, o2 World Hamburg
30.03.2015 • Frankfurt, Festhalle Frankfurt
Tickets erhalten Sie unter tickets.audiophil.de
INFORMATIONEN
www.enniomorricone.org