VIS-À-VIS DIETER BURMESTER

Dieter Burmester, Foto: Andrew Bronner
Dieter Burmester, Foto: Andrew Bronner

Im High-End-Audio gibt es einige Namen, die bei jedem Liebhaber hochwertiger Komponenten zu strahlenden Augen führen und beinahe klangvoller sind als die Klang-Preziosen, die sie fertigen. Verdientermaßen fallen darunter auch einige deutsche Unternehmen, zumeist kleine, feine Edelschmieden. MBL zählt dazu, Transrotor – und Burmester. Seit mehr als drei Jahrzehnten setzt die Manufaktur aus Berlin Maßstäbe, in heimischen Wohnzimmern ebenso wie in Luxus-Automobilen wie dem neuen Porsche Panamera. Begonnen hat Dieter Burmester, selbst leidenschaftlicher Musiker, als Ein-Mann-Unternehmen. 

Ann Kathrin Bronner: Herr Burmester, seit wann beschäftigen Sie sich mit Audio-Equipment?

Dieter Burmester: Eigentlich besteht in meinem Leben bereits seit 1962 eine ganz starke Verbindung zwischen Musik und Elektronik. Und der Glücksfall war, dass ich mit 14 oder 15 meine erste akustische Gitarre geschenkt bekommen habe. Damals haben wir im Freundeskreis Skiffle-Musik gemacht. Für die, die Skiffle nicht mehr kennen: Gesang als Soloinstrument, dazu Gitarre, Banjo und Waschbrett. Irgendwann wurde uns das zu langweilig. Damals kamen ja gerade die ersten elektrisch verstärkten Gitarren auf den Markt, und wir dachten: So etwas müssten wir haben, dann könnten wir mit einer Lead-Gitarre die Solostimme spielen! So entstand unsere Beatband. Wir haben dann eigentlich jedes Wochenende gespielt, und parallel dazu habe ich eine Ausbildung als Radio- und Fernsehtechniker gemacht und mein ganzes Wissen darauf verwandt, für die Band noch bessere Verstärker zu bauen. Irgendwann war die Lehre fertig, und da die Band ganz gut war, sind wir Berufsmusiker geworden.

AKB: Wie hieß die Band?

DB: „Some Folks“. Wir sind durch Deutschland getingelt, mit gutem Erfolg, und das hat einen Riesen-Spaß gemacht. Doch weil ich an wenig anderes als die Musik gedacht habe, musste ich irgendwann meinen Wehrdienst ableisten – und musste raus aus der Band. Danach bin ich nach Berlin gegangen und habe angefangen, Elektrotechnik zu studieren. Die erste Hälfte des Studiums habe ich dann wieder in einer Band gespielt, „Odd Persons“. Und damit habe ich zwei Jahre lang wunderbar mein Studium finanzieren können. Doch dann meinten Teile der Band, sie müssten Berufsmusiker werden. Zwei haben sich dann zwei andere Musiker gesucht, um als „Birthcontrol“ ziemlich bekannt zu werden. Nach dem Studium habe ich zunächst für 20 Mark ein Ingenieurbüro angemeldet, um mit Ex-Kommilitonen dann drei Jahre später eine Firma zu gründen, die medizinische Messgeräte und Computer-Interfaces hergestellt hat. Ein weiterer wichtiger Einschnitt in meinem Leben war, als ich bei einem Freund eine High-End-Anlage hörte. Ich war ich hin und weg, und im Nachhinein betrachtet war es eine riesige Bereicherung. Ich habe mir als eigentlich armer Student eine Röhrenanlage mit elektrostatischen Lautsprechern gekauft, die um die 4000 DM gekostet hat. Das war damals der Gegenwert eines Mini Cooper. Und ich muss sagen: Obwohl ich ja schon 10 Jahre lang Musik gemacht hatte, hatte ich nicht intensiv, nicht absolut hören gelernt. Das habe ich erst gelernt, als ich mir diese High-End-Anlage gekauft hatte.

AKB: Und seit wann gibt es Burmester?

DB: Dieter Burmester gibt es seit 1946 (lacht). Und Burmester Audiosysteme gibt es jetzt seit 32 Jahren. Das erste Gerät hieß 777, es war ein Vorverstärker, der im Juli `77 fertig war. Ein anderer Name ist mir damals nicht eingefallen, und er war ja zunächst nur für mich bestimmt. Ich war gar nicht so borniert zu glauben, dass ich eine Firma gründen könnte, die in Konkurrenz zu Grundig oder Sony stehen könnte. Die sehr guten englischen Röhrengeräte, die ich damals hatte, gingen immer häufiger kaputt, und ich wollte etwas Neues kaufen. Allerdings habe ich in den in Frage kommenden Geräten nichts an moderner Technik vorgefunden. Weder clevere Schaltungsideen, noch hochwertigste Bauelemente. Und da habe mir gesagt: „Mein Gott, wenn ich das nicht finde, warum nehme ich denn nicht mein Know-how und baue aus diesen empfindlichen Messgeräten einfach einen Verstärker für Musik?“ Daraus entstand der 777. Und irgendwie hat ein Händler davon erfahren, und dann fing es an, sich zu verselbstständigen.

AKB: Sind Sie als Kind in Ihrem Elternhaus mit Musik in Berührung gekommen?

DB: Also, musikalisch war in unserer Familie niemand, außer meiner Mutter, die Mundharmonika gespielt hat. Und in der Schule habe ich einen Musikunterricht genossen, der eine Katastrophe war. Wie ich auch meine, dass der Unterricht heutzutage für Kinder völlig verkehrt ist: Ein Jahr lang Noten lernen, bevor man überhaupt ein Erfolgserlebnis hat, das ist eine Qual für Kinder! Und genau so war mein Musikunterricht auch. Ich kann mich noch genau erinnern, damals war ich 8 oder 9: Wir hatten einen Plattenspieler, und wir Kinder sollten nach vorne kommen und dirigieren. Als ich dran war, habe ich gesagt: „Ich kann das nicht! Ich kenne das Stück doch gar nicht.“ Meiner Meinung nach lag ich völlig richtig damit: Ich muss doch vorher wissen, was kommt, um das Richtige zu machen. Die anderen Kinder haben es nicht so genau genommen, die haben einfach hinterherdirigiert, und das war für den Lehrer die richtige Version. Ich hingegen war wieder aufmüpfig. Und hatte meine Fünf weg. Das vergesse ich nie!

AKB: Und hatten Sie später Gitarrenunterricht?

DB: Nein, das haben wir uns untereinander beigebracht. Und das ist ja auch der Weg, wie man meiner Meinung nach Kindern Musik beibringen sollte. Ich traue mir zu, einem Kind, mit dem ich ein paar Stunden in der Woche verbringen kann, einige Akkorde auf der Gitarre beizubringen. Und wenn das Kind übt, kann es nach 8 Wochen 10 Lieder spielen. Und wenn ein Kind dieses Erfolgserlebnis hat, dann will es auch mehr. Dann ist es über diesen Berg rüber und will dann vielleicht Noten lernen oder unbekannte Stücke nachspielen und braucht eine Notation oder eine Tabulatur. Der Rest kommt dann von allein, nur müsste man an den Anfang dieses Erfolgserlebnis stellen, damit Kinder das nicht als Quälerei empfinden, sondern von ganz alleine mehr wollen!

AKB: Von wem wäre Ihnen ein Lob über Ihre Komponenten wichtiger: Von einem Konkurrenten aus der HiFi-Branche, oder von einem Musiker?

DB: Ich würde fast sagen: Weder noch. Am liebsten wäre es mir von einem ganz normalen Musikkonsumenten, also von einem Musikliebhaber, der mir sagen würde, er konnte über unsere Geräte eintauchen in die Musik und konnte nachvollziehen, was die Komposition aussagen wollte. Also, dass man sich reinfallen lassen kann und auf einmal merkt man, man wird berührt. Oder angerührt. Emotional berührt. Also, dass man an das ankoppelt, was ist. Dass man nicht zuhört, sondern man ist drin. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Ich als Musiker habe immer bei der Musikwiedergabe über eine Anlage vermisst, dass bei irgendwelchen Stücken nicht irgendwann irgendein Schlagzeuger mal auf die Kuhglocke haut und man dabei erschrickt. Oder dass aus dem Nichts einer mal richtig auf eine Klaviertaste haut und das in der entsprechenden Lautstärke aus dem Lautsprecher kommt. Wenn man Musik selbst generiert, also wenn man selber spielt, dann ist eben ein schöner Maßstab für das, was ja auch irgendwann mal aus den Lautsprechern rauskommen muss.

AKB: Glauben Sie, dass dieser direkte Bezug zur Musik bei Ihren Mitbewerbern fehlt?

DB: Es gibt ja in meinem Alter einige Leute, die ungefähr zur gleichen Zeit wie ich angefangen haben, Geräte zu bauen. Und ein paar von denen haben irgendwann ihre Firmen verkauft, die in Konzernen aufgegangen sind. Ich habe das Gefühl, wenn diese Gründer, die auch als Basis einen Musikhintergrund hatten, nicht mehr dabei waren, dann sind danach sachlich richtig gute Geräte gebaut worden, denen man messtechnisch eine hohe Güte attestieren kann. Aber der Anspruch, mit dem die Firma einmal gegründet worden war, ist irgendwann abhanden gekommen. Den bekommen Sie allein mit Messinstrumenten und mit versierten Ingenieuren, die dieser Technik vertrauen, aber nicht verifizieren können, wie Musik tatsächlich klingt, nicht hin. Ich glaube, der Unterschied ist ganz einfach: Wenn ein großer Elektronikkonzern einen Entwicklungsleiter sucht, dann stellt man einen Diplomingenieur für Elektrotechnik ein. Aber was ist, wenn er als Hobby Bergwandern hat und zu Hause ein Küchenradio?!? Er wird seinen Messgeräten vertrauen, und er wird auch etwas abliefern, was sachlich absolut richtig und über jeden Zweifel erhaben ist. Aber ob das Gerät eine Seele hat, ich glaube, das kann er nicht nachvollziehen.

AKB: Das heißt, Ihre Geräte haben Persönlichkeit?

DB: Nicht nur unsere, Geräte von anderen Herstellern ja auch. Die machen es ja auch ähnlich. Sie haben ja auch bei den Großserienherstellern, wenn Sie die technischen Daten ankucken, zum Teil hervorragende Daten, die sich ja in nichts unterscheiden von den Daten, die wir auch haben. Und trotzdem, wenn Sie über die High End in München schlendern, werden Sie sehen, wie viele kleine Firmen es schaffen, mit den gleichen Zutaten etwas zu machen, mit dem man eindeutig in eine andere Liga kommt. Derjenige, der die meisten Parameter kennt, die klangbestimmend sind, wird die bestklingenden Geräte bauen. Es kann sein, dass Sie durch Klangtüftelei zu diesen Phänomenen kommen, die in Bereichen liegen, die man mit der üblichen Messtechnik erst in ein paar Jahren nachweisen kann. Das gibt es. Und ich bin überzeugt, bei allen anderen Tätigkeiten und Dingen des täglichen Lebens gibt es das genauso. Egal ob einer ein Messer schmiedet oder ein Buch schreibt: Es gibt Fertigkeiten, die heben die Leute von anderen ab.

AKB: Meinen Sie also, das das Entwerfen und Bauen von Audiokomponenten für Sie so eine Art Bestimmung ist?

DB: Das weiß ich nicht, und das wäre mir vielleicht zu hochtrabend. Mir macht es Spaß, kreativer Ingenieur zu sein, weil ich meine, dass ich gerade in unserer kleinen Firma mehr Freiheiten habe als jeder Künstler: Ich kann das Design bestimmen, ich kann die Funktionen bestimmen, ich kann den Klang bestimmen. Welcher Künstler hat so viele Freiheitsgrade?

AKB: Haben Sie es eigentlich je bereut, dass Sie nicht den bereits eingeschlagenen Weg als Profimusiker nicht weitergegangen sind?

DB: Nee, eigentlich nicht. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber ich bekomme ja mit, dass ein paar Musiker, mit denen ich zusammen gespielt habe, jetzt Probleme bekommen, in dem wirklich schweren Markt zu bestehen, weil sie vielleicht nicht gerade Mainstream sind. Oder wenn sie sich immer nur um die Musik gekümmert haben und nicht darum, wie man sich vermarktet, oder kein Management im Hintergrund haben, das so tolle Marketingstrategien hat, dass man ein Hotelzimmer demolieren muss, um wieder in die Presse zu kommen.

AKB: Wagen wir einen kleinen Blick in die Zukunft: Wo wird die Reise für High End Audio hingehen?

DB: Also, das Hören wird ja nie aufhören. Ich glaube nicht, dass jemand, der Kunst für die Ohren möchte, darauf wieder verzichten möchte. Es kann nur sein, dass die Verfahren sich ändern oder die Tonträger. Es zeichnet sich ja im Moment ab, dass man die Musik über die Steckdose oder über den Computer nach Hause haben möchte. Wobei es mich sehr betrübt, dass viele Leute sich aus dem Internet oder von einem Provider Musik kaufen im Glauben, dass digitale Daten gleichbedeutend mit CD-Qualität sind. Das ist es aber in den seltensten Fällen. In der Regel ist es datenreduzierte Musik. Aber ich denke, wir sind da erst am Anfang. Die Jugendlichen wachsen ja mit einer ganz anderen Technik auf als wir, und für die wird es völlig normal sein, auf einer Tastatur ein bestimmtes Stück von den Beatles einzutippen und sie haben es drei Sekunden später und können es spielen.

AKB: Was ja auch etwas hat!

DB: Und ob das was hat. Ich selber lade allerdings überhaupt keine Musik aus dem Internet. Wenn ich im Auto fahre und irgendeine Platte höre, dann merke ich mir, wie spät es ist und auf welchem Sender ich das gehört habe, rufe am nächsten Tag an frage nach, was die da gespielt haben. Und dann bestelle ich die CD. Ich will die CD haben! Für mich ist das Kulturgut. Ich möchte nicht, dass das Kulturgut in einer Datenbank ist, die entweder durch Blitzschlag morgen defekt ist oder die es durch einen Datenwechsel in ein paar Jahren nicht mehr gibt.

AKB: Wenn Sie mit einigen Worten Ihren Traum-Highend-Klang beschreiben sollten, welche wären das?

DB: Wohlig. Natürlich. Kraftvoll. Substanz. Klangfarben. Das kann auch bedeuten, dass auch Punkmusik gut klingen kann. Da ist die Rauheit eben Stilmittel. Und da muss dann die Rauheit als Stilmittel auch rüberkommen.

AKB: Also Authentizität?

DB: Authentizität, auf jeden Fall, ja! Ob mir die Musik gefällt, das ist eine ganz andere Geschichte. Nur muss ich akzeptieren, dass der Produzent mit den Musikern um die Konsole herumstand und gesagt hat: „So wollen wir es haben.“ Das muss aber nicht mein Geschmack sein. Und da sind zu wenig Musikliebhaber so selbstsicher zu sagen: „Die Einspielung gefällt mir nicht!“ Es muss uns nicht alles gefallen, was auf Platte gepresst ist. Es wird viel produziert, was einem nicht gefällt – und was einem auch nicht zwingend gefallen muss! Für mich gibt es auf jeden Fall genug gute Musik in allen Bereichen, die es wert ist, mehr Zeit damit zu verbringen, als ich eigentlich habe!

JOE STONE
DIETER BURMESTER