PAT METHENY

Zeitgleich mit der Veröffentlichung seines neuen Solo-Albums „What’s It All About” hat Pat Metheny in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden persönlich seinen ECHO Jazz entgegengenommen. Der amerikanische Gitarrist wurde als Instrumentalist des Jahres International in der Kategorie Besondere Instrumente ausgezeichnet – ein Attribut, das sowohl auf seine Picasso-Gitarre, als auch auf sein Orchestrion zutrifft. audiophil wollte mehr über die Beziehung des Musikers zu seinem Instrument erfahren, mit dem er seit 40 Jahren maßgeblich die Jazz- und Jazz-Rock-Welt beeinflusst:
Ann Kathrin Bronner: Pat, wie würden Sie die Beziehung zu Ihrer Gitarre beschreiben?

Pat Metheny: Für mich ist sie ein Ding. Ich weiß, dass manche Leute eine beinahe persönliche Beziehung haben. Aber für mich ist es wie die Beziehung von einem Handwerker zu seinem Schraubenzieher: Es ist eine Sache, ein Werkzeug. Ich habe keine besonders enge emotionale Bindung, weder zu Gitarren im Allgemeinen, noch zu einer bestimmten. Für mich sind sie Werkzeuge. Wissen Sie, das ist lustig, da es ja einen regelrechten Kult um Gitarren gibt. Es gibt Menschen, die verrückt nach Gitarren und Gitarristen sind. Ich nicht. Für mich ist es eine Form mich auszudrücken.

AKB: Das ist interessant. Sie sind der erste Musiker, dem ich begegne, der diese Art Beziehung zu seinem Instrument hat. Für Oscar Peterson zum Beispiel war sein Klavier eine Art Zweitfrau.

PM: Das habe ich auch gehört. Viele Menschen denken so. Aber das ist nicht meine Einstellung. Eigentlich geht es noch nicht einmal um die Gitarre. Es geht um Ideen. Die Ideen sind das einzige, worüber ich mir Gedanken mache. Und die Gitarre ist dann einfach dazu da, diese Ideen als Klang zu manifestieren, damit ein anderer hören kann, welche Idee es ist. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist eigentlich eine sehr bedeutsame Sache: Es ist ein Übersetzungsgerät!

AKB: Sie ist also eine andere Art Stimme für Sie? Sie singen ja nicht.

PM: Sie IST meine Stimme. Nicht nur eine Art Stimme, für mich IST sie meine Stimme.

AKB: Und selbst zu Ihrer speziellen Picasso-Gitarre haben Sie keine besondere Beziehung?

PM: Um noch einmal den Vergleich mit Werkzeug zu bemühen: Dieses Instrument ist ein Werkzeug, das mir erlaubt, einen Klang zu kreieren, der mir ohne das richtige Werkzeug nicht möglich wäre.

AKB: Sie ist also der goldene Schraubenzieher?

PM: Nun, das würde ich nicht sagen, da sie nur für eine spezielle Sache da ist. Sie ist kein Universalwerkzeug, sondern genau das Werkzeug, das Sie benötigen, um diese spezielle Schraube auf diese spezielle Art hineinzudrehen.

AKB: Könnte jeder lernen, sie zu spielen?

PM: Ja! Ehrlich gesagt ist es eher eine Verständnisfrage als eine Frage des Spielens. Wie vieles von meinem Zeug. Ich meine, vieles von dem, was ich mache, ist sehr einfach zu spielen. Ich mache nichts wirklich Schwieriges.

AKB: In welcher Hinsicht? Technisch?

PM: Ja, technisch. Ich meine, ich sehe manche Gitarristen, die all dieses wirklich schwierige Zeug spielen. Das meiste von dem, was ich mache, sind nur Ideen. Und ich hoffe, dass ich die Ideen rüberbringe. Es ist für mich wie Geschichten erzählen. Es ist erzählerisch, beschreibend, durch die Zeit hindurch.

AKB: Aber Sie verwenden keine Texte, stimmt’s?

PM: Stimmt.

AKB: Haben Sie beim Spielen denn einen Liedtext im Hinterkopf?

PM: Nein! Für mich ist das Schöne an Instrumentalmusik – ob es nun klassische Musik ist, Jazz, was auch immer –, dass die Abstraktion, die sie bietet, etwas Einzigartiges in der Kunstwelt ist. Denn sie hat ihre eigene Syntax, sie hat ihre eigenen Werte, beinahe wie eine Sprache in linguistischer Hinsicht. Es gibt also wirklich keine Notwendigkeit, zur – ich würde sagen – niedrigeren Ebene Sprache zu gehen. Es funktioniert auf einem anderen poetischen Level. Und ich denke, das ist ein Teil dessen, was Musik so einzigartig macht!

AKB: Wenn Sie einen Titel mit 14, 15 Minuten Spieldauer haben – was in Ihrer Musik nicht so unüblich ist…

PM: …richtig…

AKB: Wie bewahren Sie den Atem oder die Struktur über eine so lange Distanz? Und gerade, wenn Sie mit anderen spielen, was das noch schwieriger macht.

PM: Ich würde sagen, dass das für mich genau die richtige Zeit ist, die man benötigt, um etwas zu tun (lacht). Die ganze Geschichte mit „Okay, machen wir es in drei Minuten!“ ist ein ziemlich neuartiges Phänomen, wissen Sie. Und meiner Meinung nach gibt es nicht Vieles im Leben, das in Drei-Minuten-Abschnitte passt. Es sind eher 14, 15 oder 18 Minuten. Wir leben in einer Welt, in der wir verpflichtet sind, unsere eigene Haltung zu Kultur zu überprüfen. Mir geht es nicht um das Jetzt, sondern mehr um die vergangenen 100.000 Jahre und die 100.000 Jahre, die noch kommen. Für mich liegt Wert in einfach guten Tönen und gutem Spielen. Das überwindet jede Frage nach Zeit!

AKB: Ihr aktuelles Album ist ein Soloalbum; aber wenn Sie mit Ihrem Quartett oder anderen Gruppen spielen: Geht es dann demokratisch zu, oder ist es eher so, dass Sie der Führer sind und die anderen Ihren Ideen zu folgen haben?

PM: Viel mehr das Zweite. Es ist lustig, denn es wird so viel über dieses ganze demokratische Was-auch-immer im Jazz geredet. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass Demokratie im Jazz auch erfolgreich gewesen ist. Meiner Meinung nach braucht man einen starken Anführer. Und jeder, der einmal mit mir gearbeitet hat, weiß, dass ich das sein werde (lacht). Bei allen Vor- und Nachteilen bin letztendlich ich dafür verantwortlich, was unter meinem Namen veröffentlicht wird. Ich suche die Jungs für die Band aus, ich bestimme, was wir spielen, wie wir es spielen und erzähle jedem ständig, wie mein Ideal in der Musik aussieht. Und so habe ich das von Anfang an gemacht, denn ich selbst habe früher von starken Führungspersönlichkeiten profitiert. Ich denke, es gibt nur einen Weg, ein starker Anführer zu sein, und die Aufgabe ist, das Beste aus den Leuten um dich herum herauszuholen. Wenn ich also jemanden habe, der eine Sache richtig gut kann, möchte ich auch, dass er dies tut. Wenn ich aber sehe, dass er etwas nicht so gut kann, liegt es in meiner Verantwortung zu sagen: „Okay, wir machen nicht so viel hiervon, wir machen mehr das, was du gut kannst.“ Und ich denke, dass ich so arbeite. Ich nenne es „gütige Diktatur”: Ich bin der Diktator, aber in dieser Welt ist ausreichend Raum für jeden, um auch sein Ding zu machen. Wenn ich mir Co-Leader-Situationen oder kollektive Gruppen anschaue, dann ist das vielleicht für ein, zwei Tage oder eine Woche ganz nett. Aber es funktioniert nicht über Jahre. Hierfür braucht es jemanden, der ein Bild vor Augen hat, und die Gruppe bewegt sich geschlossen auf dieses Bild zu. Und, wie ich bereits sagte, habe ich im Jazz noch kein Beispiel gesehen, das nach einem anderen System funktioniert hätte. Vielleicht für drei, vier Mal. Aber ich spiele 160, 170 Konzerte im Jahr.


AKB: Aber wenn Sie so viele Konzerte mit demselben Programm spielen: Wie ähnlich sind sich die Konzerte und wie viel Freiheit bleibt noch für Improvisation?

PM: Nun, das ist eine sehr gute Frage. Zum Mythos Jazz gehört ja dieses: „Wow, jeden Abend improvisiert ihr und fangt ganz bei Null an.“ Nochmals: Ich mache das jetzt seit 40 Jahren und habe die größten Musiker unserer Zeit gesehen. Wenn Sie jemanden ein, zwei, drei Mal sehen, können Sie sich diesen Mythos möglicherweise bewahren. Aber wenn Sie jemanden, selbst die Größten wie John Coltrane oder Miles Davis, 10, 12 Mal hintereinander hören, würden Sie entdecken, wie festgelegt ihr Vokabular ist. Und für mich ist es weniger eine Frage der Bandbreite, sondern der Tiefe. Es geht darum, wie tief Sie in das eintauchen können, was Sie Abend für Abend präsentieren. Und das ist auch das, was ich in den Jahren gelernt habe, in denen ich mit großartigen Musikern zu tun hatte: Die wirklich guten Jungs haben eine schier unendliche Tiefe. Und vielleicht spielen sie etwas, was sie schon zuvor gespielt haben… Nicht vielleicht, sondern ganz bestimmt. Aber für denjenigen, der es zum ersten Mal hört, wird es keine Rolle spielen. Und es spielt ebenso keine Rolle, was Sie gestern Abend gespielt haben. Es geht darum, was in diesem Moment geschieht. Es ist also eine interessante Mischung.

AKB: Aber wir Zuhörer haben doch eine spezielle Erwartung: Wir haben so viele Platten zu Hause. Wir kennen Ihren Sound, wir kennen Ihren Stil, also erwarten wir die Interpretation, die wir zu Hause auch auf der CD haben.

PM: Nun, ich weiß, dass das bei manchen Stücken weiter entfernt ist als bei anderen. Aber wissen Sie, wenn man improvisierte Musik aufnimmt, ist nun einmal eine der Besonderheiten, dass dies einem Widerspruch in sich trägt. Denn auch im Studio ist der Grundgedanke, spontane und unverbrauchte Musik zu machen. Aber im Hinterkopf wissen Sie, dass die Leute, wie Sie sagten, die Musik wieder und wieder anhören werden. Eine Jazzaufnahme ist also eine Kunst für sich. Und, hier wird es fast schon politisch: Welchen Zweck hat eine Aufnahme? Meiner Meinung nach gibt es zwei Kategorien, unter die ich falle: Es gibt die ganz dokumentarische Aufnahme, für die mein aktuelles Album ein gutes Beispiel ist. Wie ein Schnappschuss. Und dann gibt es Aufnahmen, die etwas mehr durchkonstruiert sind, bei denen es wirklich um die Produktion geht. Ich fühle mich bei beiden wohl – und bei den Schattierungen dazwischen.

AKB: Haben Sie die Songs für das aktuelle Album „What’s It All About“ unter der Prämisse ausgewählt, dass sie gut aufzunehmen sind? Oder hat jeder Song vielmehr eine spezielle Bedeutung für Sie?

PM: Abgesehen davon, dass sie in meine persönliche Vita passen, hat jeder Song auf dem Album in musikalischer Hinsicht etwas Einzigartiges. Etwa eine überraschende Wendung in der Akkordfolge oder eine spezielle Form. Jeder dieser Songs hat etwas, was hip ist. Natürlich gibt es ganz bestimmt viele andere Songs, die ich hätte spielen können, die aber alle nicht genug Substanz hatten. Von diesen Songs hingegen ist wirklich jeder maßgeblich.

AKB: Sie sagten gerade: hip. Glauben Sie denn, dass sich ein Künstler generell der Entwicklung im Musikgeschäft anpassen sollte? Mussten Sie Ihren Stil je anpassen?

PM: Ich passe meinen Stil nicht an, dafür bin ich viel zu dickköpfig! Ich spiele, wie ich spiele. Ich höre, wie ich höre. Und ich glaube wirklich, dass Musiker eine Verpflichtung haben, ehrlich zu sein, wenn es um das geht, was sie lieben. Und zu versuchen, in ihrer Musik das auszudrücken, was sie lieben. Genau das habe ich all die Jahre gemacht. Und irgendwie bin ich damit durchgekommen (lacht). Nehmen Sie doch einmal die Kultur zu Zeiten Bachs, seine Musik. Wie viele Menschen kamen wohl am Sonntag nach dem Gottesdienst zu ihm und sagten: „Mensch, du hast die großartigste Musik geschrieben, die in den nächsten 300 Jahren geschrieben werden wird!“ Einer? Vielleicht zwei?

AKB: Und er hat das jeden Sonntag wiederholt.

PM: Fortwährend. Nichts konnte ihn abhalten. Und das waren damals auch nicht die besten Zeiten für Musiker. Aber sein wahrer Reichtum war die Genugtuung, dass seine Musik der „Bringer“ war.

AKB: Aber glauben Sie, er hat all diese Werke geschrieben, weil er Musik so liebte, oder vielmehr, weil er jeden Sonntag eine neue Messe abliefern MUSSTE?

PM: Ich habe bei ihm den Eindruck, dass er eine beinahe schon körperliche Notwendigkeit hatte, all das in die Welt zu tragen. Meine Meinung ist: Es geht mal aufwärts, mal abwärts. Musik ist mal populär, mal nicht. Für mich zählt nichts davon. Ich versuche einfach, gute Töne zu spielen. Das hat seinen eigenen Wert und ist in einer Art und Weise zeitlos. Und nur darauf habe ich all die Jahre geachtet.

Termine
30.10.2011 Hamburg, Jazz Festival
31.10.2011 Ruesselsheim, Theater

01.11.2011 Ludwigshafen, Theater im Pfalzbau
03.11.2011 Luzern (CH), KKL Luzern
04.11.2011 Ingolstadt, Stadthalle

Informationen
www.patmetheny.com

aktuelle CD
What’s It All About
2011 Nonesuch Records / Warner
EAN 0075597964707

TOP-TEN 8.Juli
TOP-TEN 16.Juni