CHRISTOPH SCHLINGENSIEF

Taio CruzWir trauern um Christoph Schlingensief. Nach langem Kampf gegen die Krankheit ist Christoph Schlingensief am  21. August 2010 von uns gegangen. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Aino und allen Angehörigen, Freunden und Wegbegleitern.

Lieber Christoph, wir werden Dich immer so in Erinnerung behalten, wie wir Dich im Parsipark kennengelernt haben. R.I.P.

Von Parsifal bis Parsipark – Ein Gespräch mit Christoph Schlingensief vom August 2005 über Jugendorchester, Wagner und andere Aliens… und den Tod.

Der „Grüne Hügel“ in Bayreuth wird Jahr für Jahr zum Mekka mehrerer Hundertschaften von Opernfreunden aus aller Welt, gerne als „Wagnerianer“ tituliert. Sie nehmen alle nur erdenklichen Mühen auf sich, um mindestens einmal im Leben diese Pilgerfahrt unternommen zu haben. Die Abenteuerlustigeren zog es im August 2005 in „Odins Parsipark“, der begehbaren Fortsetzung von Bayreuths „Parsifal“ auf einem ehemaligen NVA-Hochsicherheitstrakt.

Ann Kathrin Bronner: Herr Schlingensief, wie sind Sie eigentlich zu Wagner gekommen?

Christoph Schlingensief: Wagner habe ich das erste Mal bei meinen Eltern gehört. Aber nicht mit großem Bewusstsein, einfach nur so als Zutat, dann aber 1980 beim „Andalusischen Hund“ von Luis Buñuel. Da gibt‘s ja nun „Tristan“, und ich dachte: „Was ist das für Musik ?“ Das fand ich sensationell. Das ist eigentlich der Anfang gewesen. Ich habe 1994 dann angefangen, Wagner in meinen Theaterstücken zu verwenden. Und dann kam plötzlich von der Deutschen Grammophon die Anfrage, sie würden diese Serie machen „…trifft“ Und das war dann „Schlingensief trifft Wagner“.

AKB: Leider nicht in echt. Das wäre es doch gewesen!

CSch: Na ja, wir haben uns ja schon oft getroffen, das weiß nur keiner. Ich hab dann auch irgendwann die Einladung bekommen, mir Bayreuth anzukucken. Ich fand das schon wahnsinnig, die Anreise, das Auf-die-Karten-Warten, man ist nervös, dann kommt noch der Klang. Ich habe immer mich gefragt, was mich da so ankroch, diese Erweckungssituation, so was wie „Ja, genau, jetzt geht’s los“. Oder es treibt einen gleich in die Tränen. Bei „Tristan“ weine ich meist nach vier Minuten. Das hat immer schon im Hintergrund „Es geht zu Ende“. Oder es ist eine Unerlösbarkeit in Sicht. Es gibt Wesen, die kämpfen immer wieder um Anerkennung.

AKB: Ist das für Sie eine Ehre, dass Sie dort inszenieren dürfen? Oder gibt es für Sie den Begriff Ehre so nicht?

CSch: Ich kann das so komisch beschreiben: Dass ich natürlich massivst erschüttert wurde, weil ich es nicht geglaubt habe. Ich habe 1998 in einem Interview mit der „Welt“ gesagt, ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ich mal am „Grünen Hügel“ inszenieren werde.

AKB: Also kam der Anruf: Herr Schlingensief, hätten Sie Lust?

CSch: Ich hatte eine Gastprofessur in Karlsruhe, bei Peter Sloterdijk, und hatte mein Handy nicht aus, weil ich Seminare langweilig finde. Es klingelte, und dann hieß es: „Frau Katharina Wagner möchte Sie gerne sprechen.“ – „Im Namen meiner Eltern soll ich fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, den Parsifal in Bayreuth zu inszenieren.“

Ich hatte gedacht, die wollen jetzt so ein Beiprogramm starten, das heißt, ich soll dann vielleicht – meinem Ruf gemäß – mit dem Megaphon ums Festspielhaus rasen und da vielleicht irgendeinen Firlefanz machen.

AKB: Jetzt konnten Sie den Firlefanz ja auf der Bühne machen…

CSch: Und das hat eben nicht stattgefunden. Der Firlefanz auf der Bühne wäre gewesen, das, was alle erwartet haben: die Blumenmädchen in Naziuniform und Klingsor scheißt auf die Bühne und wir lassen das Megaphon singen. a) kann man das nicht ändern und b) sind meine ganzen Welten Gott sei Dank festgehalten auf Film. Das ist eben das Problem, was ich eben auch auf den Tod langweilig finde: Das gedächtnislose Deutschland hat ja nie den Kontakt zu den Bildern, und zur „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ von Nietzsche haben die überhaupt gar keinen Bezug zu. Das Transzendente, die Metamorphose ist bei mir nicht esoterisch gemeint. Das ist ein Überlebenstrieb. Und das ist gewachsen aus sich selber. Und alles, was aus sich selber wächst und aus sich selber weiter entwickelt, trifft genug anderes Kraftmaterial, das dieses Weiterwachsen befördert. Ich kann Ihnen all die Symbole, ich kann auch all die Querverweise sagen. Es kommt immer das Thema Erlösung vor. Es kommt natürlich das christliche Element vor, aber auch meine Vorliebe für Buddhismus, und ich bin gleichzeitig ein großer Fan des Voodoo. Und wenn man das nicht mehr kennt in Deutschland, das nicht mehr versteht, dann liegt das auch am Zweiten Weltkrieg, wo man halt alles aufgeben musste. Deutschland ist fett, träge, müde geworden, kann nicht mehr querdenken, hat überhaupt keinen Begriff mehr von Transformation. Und ich finde Oper ein super langweiliges Medium. Das ist eine Betonmischmaschine mit erstarrtem Beton. Ein Bild, da steht jemand, singt. Sie dürfen keine Fehler machen. Es darf eben nicht knistern auf der CD. Ich freue mich über ’ne LP wenn’s da knistert, weil ich dann weiß, da habe ich mehrmals diese Nadel angesetzt. Das sind kleine Erinnerungsfaktoren, wo ich mich verewige in dem Material oder sonst was. Selbst ’ne Platte, die bei mir im Fenster bei Superhitze diese Wellen schlägt ist toll. Das ist jetzt ein Objekt geworden.

AKB: Es gibt „Plattenbügler“. (lacht)

CSch: Die können das wieder runterkriegen? Das wusste ich gar nicht. Fantastisch!

AKB: Wie sind Sie an die Sache rangegangen? Haben Sie die Platten angehört, Inszenierungen von Parsifal angeschaut?

CSch: Ich habe eine Inszenierung gesehen, dann hab‘ ich die VHS bekommen von Wolfgangs (Enkel Richard Wagners, Anm. d. Red.) Inszenierungen. Und dann hab ich Levine und dieses Zeug gesehen. Ich hab mich wahnsinnig gequält und gedacht: „Meine Güte, das zieht sich ja dahin wie Kaugummi.“ Und das zieht sich ja für mich als Messdiener noch mehr hin, weil ich die Langeweile am Altar kenne. Man war froh, wenn Kaplan Kuhn die Messe machte, weil sie dann 15 Minuten kürzer war. Ich habe mir dann die Noten gekauft – Noten kann ich halt lesen, weil ich 12 Jahre Klavierunterricht hatte – und ein Buch gemacht, auf der einen Seite Noten, auf der anderen ein weißes Blatt. Da hab ich Zeichen reingemacht, und da stehen dann so Worte wie „Hase runter, Bild dahin“, und teilweise ganz wild da reingeschrieben.

AKB: Kommt das aus dem Elternhaus, dass Sie schon früh mit Musik in Berührung kamen?

CSch: Mein Vater und meine Großmutter spielen Klavier. Da gab’s halt Schumann und Liszt und „Wohltemperiertes Klavier“. Danach ein paar Paradestücke, Mozart, Beethoven, Chopin. Ich hab einmal im Jugendorchester Oberhausen mitgespielt und war fünf Minuten vor dem Orchester fertig.

AKB: Das ist jetzt ein Witz, oder?

CSch: Nein, das ist stimmt wirklich. Ich war fünf Minuten vorher fertig, ich war froh dass ich „Tribidp ding ding“ und dann zu. Da hat man mir nahegelegt, das Ganze sein zu lassen.

AKB: (lacht herzlich)

CSch: Aber ich war echt fünf Minuten vor allen fertig.

AKB: Das ist nicht schlecht!

CSch: Das war ein großartiges Konzert!

AKB: Das ist eine Leistung!

CSch: Ein großes Konzert. Ich war auf Spuren von Boulez! Ich hatte auch noch den Größenwahn zu glauben, dass das Orchester sich nach mir richten wird. Die hätten mir nur Zeit geben sollen, die hätten sich irgendwann alle nach mir gerichtet. (lacht)

AKB: Hat der Ruhrpott Sie geprägt? Ich dachte, dass Sie mit ihren ganzen Ideen vielleicht aus der Tristesse ausbrechen wollten…

CSch: Ich habe meine Omma im Bergischen Land gehabt, und wenn man dann abends nach Oberhausen fuhr, dann waren halt rote Abstiche am Himmel, da, wo der Stahl gegossen wurde. Ich bin nicht extremst Ruhrpott-veranlagt, aber ich liebe das immer noch. Der Geruch, die ruppige Art der Leute. Aber wenn ich jetzt sehe, Ruhrtriennale, Andrea Breth tobt dann unter Tage rum. Das ist alles natürlich wie im Wanderpark. Mach ich ja auch. Ich gehe dann halt hier ins NVA-Camp.

AKB: Die Musik scheint Ihnen ja doch auch in den Filmen wichtig zu sein. Sie arbeiten mit Helge Schneider zusammen.

CSch: Helge Schneider und ich sind sehr befreundet gewesen. Wir haben zehn Jahre in Mühlheim gewohnt, Filme zusammen gemacht, und da war er nicht berühmt, und ich auch nicht. Im dritten Film hat er mitgemacht, und die Musik für zwei Filme. Das Bild hat mit dem Ton immer einen ganz starken Zusammenschluss. Ich habe auch meine Bilder in Bayreuth nicht gemacht, um die Musik zu töten, sondern ich hab mir wirklich vorgenommen, das nicht zu bebildern, sondern dass das eben auch ein Teil, ein Organismus ist, den man eben halt in der Oper auch dann sehr schnell verliert, verlernt. Und natürlich sind da auch ein paar Bilder dabei gewesen, aber dieses Jahr habe ich ja schon gemerkt, das sind ja Leute, die dann nachher sagen: „Ja, jetzt konnte ich irgendwie mehr damit anfangen. Es hat wohl weniger geflackert.“ – Wir haben nachweislich kein Video rausgenommen…

AKB: Es gab aber kaum Buh-Rufe.

CSch: Jetzt war es toll. Ich war noch mal da, da war ein Buh-Konzert ohnegleichen. Ich kam raus, und sie haben Buh gerufen. Sie haben aber ein Buh gehabt, das war so saftig – wie Patti Smith sagte, so ein „friendly Booh“. Dann auch andere daneben mit „Bravo“. Es war echt massiv. Und dann hörtest du von draußen ein Drittel des Publikums „Schli-ngen-sief, Schli-ngen-sief!“ Und dann bin ich da noch mal raus. Also ich hab wirklich gestrahlt. Aber nicht aus Überlegenheit oder so was, sondern ich merke das natürlich, es beginnt…

AKB: …zu gären…

CSch: Ja, und es ist irgendwie emotional, eigentlich Umarmen, das ist fast pansexuelles Klatschen. Find ich schon toll…

AKB: Was ist denn Ihr Ziel. Möchten Sie gerne gefallen, möchten Sie aufrühren?

CSch: Da mach ich mir überhaupt keine Gedanken mehr drum. Da habe ich mir so viele Gedanken drum gemacht, dass ich immer wieder… Auch den Eltern will ich schon gefallen, das kann ich nicht abstreiten.

AKB: Haben Sie eigentlich genug Liebe bekommen?

CSch: Extremst. Viel zuviel. Ich hab mit meinen Eltern ein sehr gutes Verhältnis. Ich hab die Technik gehabt, dass sie was Gutes lesen oder was Gutes hören. Jetzt sind sie im Moment da sehr, sehr glücklich. Aber was die anderen Leute angeht: Ich mach die Sachen nicht mehr für diese Erde. Ich will sie nur interessieren dafür, sich zu überlegen, dass die Außerirdischen irgendwann kommen und dann diese viele Information deuten. Daran muss man arbeiten. Also das heißt man muss nicht arbeiten, dass die kommen und sagen „Ach so lief das hier“, sondern die müssen runterkommen, müssen eine Welt voller Rätsel finden.

AKB: Wie wir, mit den Römern. Oder noch früher.

CSch: Ja. Aber wenn die Außerirdischen, die jetzt Bayreuth schon lange beobachten, irgendwann da runterkommen und sich dann irgendwie denken, sie finden jetzt den Lohengrin, kommen sie irgendwie in so eine Sache rein, und da ist nur Gerümpel und ein Videobeam und Schwarz-Weiß-Geflacker, und sie fragen sich dann: „Wieso war das da?“ Das ist dann was Wertvolles. Da muss ich mir auch keine Gedanken mehr machen, ob ich nach meinem Tod irgendwas bedeutet hab oder nicht. Der Mensch als solcher ist für mich berufen zum Sterben. Das ist der große, für mich positiv besetzte Aspekt. Ich bin berufen zu sterben, und nicht, um hier meine Unsterblichkeit zu machen. Das ist das größte Problem Gottes, in seiner Allmacht: Er kann nicht sterben, ja? Er ist allmächtig, er kann ja alles. Nur eins kann er nicht: Sterben. Das ist das, was wir ihm voraus haben. Und das ist das, weshalb ich da auch in einer gewissen positiven Aufladung an diesen Sachen weiter arbeite!

AKB: Danke schön!

A-HA
CURTIS STIGERS