PAUL KUHN

Die deutsche Swing-Legende erhielt am 5. Mai 2010 den ECHO Jazz in der Kategorie „Würdigung des Lebenswerkes eines Künstlers“

Er ist eine deutsche Institution mit nicht weniger als sieben Jahrzehnten Bühnenerfahrung. Pianist, Sänger, Komponist, Bandleader, Arrangeur, Schauspieler und Entertainer – ein wahrer Tausendsassa. Lebhafte Augen, jungenhafter Charme, Witz und Schlagfertigkeit zeichnen ihn auch heute noch aus, wie er da beim Interview sitzt. Kein Wunder, dass Paul Kuhn Millionen Zuhörer und Zuschauer in seinen Bann zieht, mitreißt und zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Etwa mit den „Swing Legenden“: Es ist schon erstaunlich, was das „Senior Rat Pack“ Paul Kuhn, Max Greger und Hugo Strasser mit zusammen fast 250 Jahren auf der Bühne abliefert. Dabei ist Kuhn noch der Jüngste des vitalen Trios.

Swing ist keine Frage des Alters: Man hat ihn, oder man hat ihn nicht. Paul Kuhn hat ihn –zweifellos! Angefangen hat alles 1939, als er im musischen Gymnasium auf einem Grammophon Platten von Glenn Miller und Benny Goodman hört.

Nach dem 2. Weltkrieg spielt er beim amerikanischen Sender AFN und in amerikanischen Clubs. Die Clubs waren sein „zweiter Bildungsweg nach dem Konservatorium“ – das Repertoire, von dem er heute noch zu achtzig Prozent lebt, eignet er sich hier an. Doch wie so viele andere Jazzmusiker auch (man denke nur an Caterina Valente oder Bill Ramsey) folgt Paul Kuhn Anfang der Fünfzigerjahre dem Ruf der deutschen Schlagerindustrie. War er bei den Amerikanern noch schlicht „der Mann am Klavier“, wurde er später im deutschen Fernsehen zu „Paulchen“ degradiert – eine Rolle, mit der er sich selbstverständlich nie identifizieren kann. Das Schubladendenken in der deutschen Musikszene bekommt er jedoch nicht nur hinsichtlich der Namensgebung zu spüren: Während die Jazzkollegen nie verstehen können, wie ein begabter Pianist und Sänger ins Schlagerlager „überlaufen“ kann, ist er für das Schlagerpublikum kein ernst zu nehmender Künstler. Jahrzehntelang kämpft er gegen diesen „Makel“ und versucht, Jazz in die Unterhaltungsmusik einzuschmuggeln.

Kunst oder Klamauk, Jazz oder Unterhaltungsmusik, das ist die Entscheidung, die Paul Kuhn treffen muss. Letzten Endes hat der Jazz, seine große Liebe, gesiegt: Es ist das Repertoire der 40er- und 50er-Jahre, in dem Paul Kuhn auch heute noch zuhause ist. Der Fan von Frank Sinatra, den er nie persönlich treffen durfte, nennt neben „the Voice“ Art Tatum und George Shearing als seine Vorbilder. „Als der Jazz in mein Leben kam, habe ich gesagt: Das ist meine Musik. Dann wurde ich abgelenkt durch viele kommerzielle Versuchungen. Ich wurde dann weit hinaus getragen in das große Meer der Musik, und bin doch wieder im Jazz angekommen. Und das ist natürlich wunderbar, wenn man am Ende seines Lebens dahin zurückkommt. Also, back to the roots gilt bei mir wirklich. Und wenn man damit noch Erfolg hat: Was kann einem Besseres passieren? Ich hoffe, ich kann das noch lange machen!“ Was kann uns Besseres passieren?

Herzlichen Glückwunsch, Paul Kuhn, zum ECHO Jazz!

Ann Kathrin Bronner: Herr Kuhn, ist es nicht unglaublich, dass Sie jetzt schon über sechzig Jahre professionell Musik machen?

Paul Kuhn: Man kann sogar sagen seit siebzig Jahren! Mit 12 habe ich bereits, wenn man so will, Geld damit verdient (lacht).

AKB: Waren Sie ein Wunderkind?

PK: Nun, ein bisschen.

AKB: Kommen Sie aus einem musikalischen Elternhaus?

PK: Meine Eltern waren nicht unmusikalisch. Aber wenn da eine musikalische Ader war, dann war sie auf mütterlicher Seite, aber alles auf Amateurebene. Mein Onkel, der auch Paul hieß, hat meine musikalische Begabung entdeckt. Als ich so fünf, sechs war, hat er gesagt: „Kauft doch dem Bub mal ein Akkordeon.“ Das bekam ich zu Weihnachten, und ich habe das gleich spielen können. Da haben sie gesagt: „Moment, irgendwas ist da!“ Zum Glück waren meine Eltern waren nicht so gebaut, dass sie gesagt haben: „Musik kannst Du immer noch machen, erst lernst Du mal einen vernünftigen Beruf!“ Sie haben gemerkt, dass ich da gleich fest angebissen hatte.

AKB: Aber es war ja nicht von Anfang an Jazz, sondern Sie haben zunächst Klassik studiert.

PK: Das war in Wiesbaden am Konservatorium sowie in Frankfurt am musischen Gymnasium. Ich habe neben Klavier natürlich auch Instrumentenkunde, Musikgeschichte und Dirigieren studiert. Und ich hatte auch Stimmbildung. Ich weiß, wie man singt, und was man da anstellt, um zu stützen. Zudem Instrumentation, was mir später fürs Arrangieren zugute kam. Arrangieren konnte man damals nicht lernen, denn Tanzmusik und Jazz waren ja Affenmusik. Ich habe dann die hehre Klassik studiert, immerhin bis zum Haydn Klavierkonzert habe ich es geschafft. Da war dann allerdings Schluss. Ich habe dann während des Krieges schon verbotenerweise amerikanische Sender bzw. die so genannten Feindsender gehört. Da wurde ja auch Jazz gespielt, und das fand ich toll. Die Tanzmusik, die wir so hatten, hatte mit der Musik, die man auf BBC hörte, gar nichts zu tun. 1943 habe ich dann zum ersten Mal Glenn Miller gehört, als er in England war. Und da war ich einfach begeistert. Dann kam AFN dazu, bei dem ich auch angestellt war ein paar Jahre.

AKB: Was haben Sie denn bei AFN genau gemacht?

PK: Ich habe fünf Mal die Woche Klavier gespielt, live im Sender, bei verschiedenen Sendungen. Die liefen entweder am Morgen zwischen 11 und 12, oder gegen Abend, das war „Music In The Air“. Da liefen große Orchester, und zwischendurch hieß es: „ We are taking you now to Studio B, where Paul Kuhn is ready to play“. Dann hatte ich eine kleine Combo, und wir waren, als wir bei AFN und abends im Club gespielt haben, natürlich immer hoch aktuell. Da gab es die großen Schallplatten, das waren so riesige Dinger, die haben wir abgeschrieben und dann abends im Club die Titel gespielt, die sie morgens im Sender gespielt hatten. Das war natürlich heiß. Wir waren eine sehr beliebte Truppe!

AKB: Wurde bei AFN damals Jazz gespielt?

PK: Na ja, Jazz wurde auch auf AFN relativ wenig gespielt. Die damalige Tanz- oder Pop-Musik war eben anders als heute. Die Tanzmusik wurde von guten Dancebands gemacht, die sehr jazzig gespielt haben. Ich sage immer, die Tanzorchester waren „die Heimat der Jazzmusiker“. Die sind da untergeschlüpft. Und daher sind diese großen Bands, Les Brown oder Woody Herman, natürlich immer mehr zu Jazzbands geworden, aber die haben auch in den großen Hotels zum Tanz gespielt. In diesen Orchestern waren eben gute Solisten drin, und Jazz wurde dann ein bisschen populärer. Wir hatten ja gedacht, ganz Amerika swingt, aber das war natürlich lange nicht so. Ich habe mal mit George Shearing gesprochen, und er hat gesagt: „When I came to the States, I thought the USA swings, but it’s not Paul, it’s not. It don’t swang, you know?” Die Amerikaner wollten Hilliebillie-Musik hören. Und das Erste, das die Soldaten, die rüberkamen, hören wollten, war: „Warum ist es am Rhein so schön?“ oder „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“. Das waren die Sachen! Nur wenn man für die GIs spielte, wurde Jazz gewünscht. Da waren immer auch Musiker dabei, die selber mitgespielt haben. Ich habe mehrere Jahre in einem schwarzen Club gespielt, da wurde Jazz gespielt. Und da ging es zur Sache. Aber letztlich, wenn die Mädels hatten, wollten die auch tanzen, und dann musste man auch „Tea for Two“ spielen…

AKB: Sie haben ja wirklich unglaublich viele Talente: Sie sind Instrumentalist, Sie sind Komponist, Sie sind Sänger, Sie sind Arrangeur, Sie sind Bandleader, Schauspieler, Entertainer… Was liegt Ihnen am meisten am Herzen?

PK: Klavier spielen! Ich meine, es ist natürlich toll, zwischendrin auch andere Dinge zu machen. Ich habe für die Tour mit den Swinglegenden sehr viel arrangiert; ich würde sagen, zwei Drittel von allen Arrangements, die die Band spielt, habe ich gemacht. Oder auch für das neue Album: Man muss etwas erfinden, die Stücke suchen, die sich dafür eignen und die man gerne spielt.

AKB: Aber woher nehmen Sie Ihre Ideen?

PK: Das kommt vom vielen Spielen. Wenn man viel spielt, muss einem einfach was einfallen. Ich höre wenig von meinen großen Kollegen. Ich höre mal Frank Sinatra und Ella Fitzgerald, was man so normalerweise zuhause hat. Oder mal eine Bigband-Platte. Aber ich spiele einfach. Man lässt sich ein bisschen inspirieren, ganz klar, wenn ein anderer Pianist spielt. Wenn ich Hank Jones höre, dann sage ich schon: „Oh, das ist schön.“ Und dann versucht man, so ähnlich zu spielen – oder eben nicht. Also, ich weiß nicht, wo die Improvisation herkommt. Ich könnte es nicht sagen! Vielleicht auch durch die Arbeit als Arrangeur. Ich bin es einfach gewohnt, was zu erfinden.

AKB: Mal ehrlich: Saßen Sie schon einmal auf der Bühne und Ihnen ist nichts eingefallen?

PK: Nein! Das nicht! Aber ein Lied zu schreiben, das ist nicht so einfach. Es passiert schon, dass man zuhause sitzt und dann eine Stunde an einer Melodie herumklimpert. Dann muss man aufhören. Das geht nicht so holterdiepolter, mal eben schnell eine Melodie! „Komm, schreib doch mal einen Hit!“ Das ist nicht so einfach. (lacht)

AKB: Und sind Sie noch aufgeregt bei Ihren Auftritten? Haben Sie noch Lampenfieber?

PK: Das hat sich eigentlich verstärkt. Je älter man wird, desto genauer ist man. Zumindest ich! Ich will dann alles perfekt machen, es muss dann alles stimmen. Und wenn alles perfekt sein soll, dann werde ich ein bisschen nervös. Das geht weg, sobald man ein Stück gespielt hat. Aber bis man die Form wieder hat, das dauert. Deswegen spiele ich jeden Tag.

AKB: Wegen der Geläufigkeit?

PK: Ja, aber auch wegen Einfällen. Ich bin dann nervös! Ich kann mich nicht dahin setzen und denken: „Wenn’s daneben geht, ist auch egal!“ Auch wenn es nicht schlimm ist, sondern menschlich, man ist ja keine Maschine. Wenn was passiert, dann passiert es halt. Und die meisten Leute merken es nicht einmal.

AKB: Es kommt ja mehr auf das Ganze an, dass sich der Swing, der Elan transportiert, als auf einzelne Töne.

PK: Eben! Das finde ich nämlich auch. Bei zweitausend Tönen ist dann mal einer falsch. Ja, und?

AKB: Kam Ihnen Ihre klassische Ausbildung am Klavier auch für Jazz zugute?

PK: Natürlich, natürlich. Da ist noch einiges übrig geblieben. Sonst könnte ich heute nicht spielen. Wenn man die Technik nicht hat, wenn man nicht genau weiß, wie man sich nicht verkrampft und wie man locker ist, kann man nicht so lange spielen. Und auch das Repertoire, das ich damals gespielt habe, kommt mir zugute. Ich spiele heute noch sehr viel Klavier, also nie unter einer Stunde am Tag, meistens mehr. Wegen der Beweglichkeit der Finger, aber auch wegen der hier oben. Ich kann nicht mehr so gut Noten lesen, sondern muss sehr viel behalten können. Und das Spielen schult auch. Der Weg von da nach da (deutet von den Fingern zum Kopf) schult gewaltig. Mir hat mal ein Arzt gesagt: „Machen Sie sich keine Sorgen, verblöden tun Sie nicht, weil Sie ständig damit beschäftigt sind, das umzusetzen.“

AKB: Musik hält rege.

PK: Ja. Das gilt für Musiker sowieso, aber für Pianisten besonders!

AKB: Sie sind aber nicht nur als Pianist, sondern auch als Sänger erfolgreich. Wann haben Sie zum ersten Mal öffentlich gesungen?

PK: Das muss Ende der 40er-Jahre in amerikanischen Clubs gewesen sein.

AKB: War das wegen Frank Sinatra?

PK: Nein, ganz so früh habe ich ihn noch nicht gekannt. Ich habe in Clubs gespielt und wurde gefragt: „Kennen Sie das Lied? Sing it. Do you know the words?” Dann haben sie die Noten besorgt und ich habe ein bisschen gesungen, in meiner Tonart, einfach so, wie es halt am Besten geht. Tja, da hat sich das angeboten. Da habe ich auf Englisch gesungen, und später, als ich in deutschen Clubs war, in den ersten Bars, wo man nach dem Krieg wieder spielen konnte, habe ich das eben weitergemacht. Dann kam ein Schallplatten-Produzent und sagte: „Kannst Du nicht mal was in Deutsch singen?“ Und ich habe gesagt: „Tja, ich weiß nicht so recht.“ Denn der Jazz und die Unterhaltungsmusik der damaligen Zeit waren eben in Englisch. Und ich wollte nicht so richtig ran ans Deutsche. Doch dann haben die gesagt: „Junge, für den deutschen Markt musst Du Deutsch singen.“ Dann habe ich das eben gemacht, und das war ausgerechnet „Der Mann am Klavier“. Und darauf wurde ich ein bisschen festgelegt. Ich meine, man muss zwar froh sein, dass man so eine Trademark hat, obwohl das mit Jazz wirklich nichts zu tun hat. Aber ich bin bekannt geworden dadurch!

AKB: Ich finde es sehr schade, dass es kaum gute Jazzsängerinnen und -sänger in Deutschland gibt. Woran liegt das?

PK: Ich weiß es nicht. Es gab hier ja nie welche! Das Wort Jazz wird ja oft missbraucht, und wenn die so ein Popzeug singen, glauben sie, das sei schon Jazz. Ich habe keine Ahnung. Roger Cicero ist ein guter Sänger, und er swingt auch ein bisschen. Aber mehr auch nicht.

AKB: Aber was kann man da machen?

PK: (lacht) Ich weiß nicht, was man da machen kann. Ich kann nur ab und zu was singen, mehr aber nicht. Vielleicht ist es auch die englische Sprache, die die Leute stört. Die wollen wissen: „Was singt der?“ Deswegen hat Roger seinen Erfolg, er singt nur in Deutsch. Ich meine, ich würde mir das nie kaufen, aber das ist eine andere Sache (lacht). Ich bin kein Publikum in dem Sinne! Und wenn im Fernsehen Jazz gesendet wird, dann nachts um zwei. Jazz war auch bei den Schallplattengesellschaften immer eine Minderheitenmusik. Die EMI hat gesagt: „Jazz? Fünf Prozent!“ Man muss das klar sehen. Das ist nun mal so.

AKB: Und wie wäre es, wenn Sie mit einem jungen, aufstrebenden Künstler auf die Bühne gingen? Für das junge Publikum…

PK: Nennen Sie mir einen!

AKB: Na ja, mir fällt da jetzt spontan keiner ein… (Lachen)

PK: Ja, ja, das ist nicht so einfach!

AKB: 1980 wurde Ihre Band, das SFB Tanzorchester, aufgelöst wurde. Wie war das für Sie?

PK: Schrecklich! Damals war ja Berlin außerhalb von Gut und Böse. Ich sage immer: eine Insel im Roten Meer. Wir hatten uns auch nicht um irgendwelche Privatjobs oder Schallplattenaufnahmen gekümmert. „Och, wir sind da im SFB wunderbar aufgehoben.“ Und plötzlich – bumm! – war das zu Ende und wir standen auf der Straße. Wir hatten nicht einmal einen Presseball, auf dem wir hätten spielen können, denn wir hatten das Tanzrepertoire nicht. Wir mussten im Sender ja immer alles Mögliche spielen, Instrumentalversionen von irgendwelchen Popleuten, die kein Mensch kannte. Und das will ja keiner hören! Also, entweder wollen die Menschen die Originale singen hören, oder die Band spielt Tanzmusik. Aber nicht diese Titel, das ist furchtbar! Na ja, wir waren da künstlerisch ein bisschen am Verhungern.

AKB: Hat Sie das auch persönlich getroffen? Haben Sie sich fallen gelassen gefühlt?

PK: Vom Sender schon, ja. Gut, die hatten zwar immer gesagt: „Wir wollen unser Programmschema ändern und brauchen die Band nicht…“ Dieter Fenner, der Chef der Unterhaltungsabteilung, hatte uns immer sehr gestützt. Aber irgendwann konnte er uns nicht mehr halten. Da war der Druck so stark, dass er sagte: „Nein, ich brauche die Band nicht mehr!“ Bumm – draußen waren wir. Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich lief in Berlin rum, und auf der anderen Straßenseite lief Werner Müller, der hier in Köln am Sender war. „Paul! Was ist los?“ „Wir sind gefeuert!“ „Ach, du lieber Gott! Was machst Du?“ „Keine Ahnung!“ „Willst Du für mich arrangieren?“ Er hatte hier das Tanzorchester. Ich sagte: „Ja, warum nicht! Was soll ich den arrangieren?“ „Was Du willst! Schreib irgendwas!“ Doch es ist nie so weit gekommen. Ich habe nicht ein Arrangement für Müller schreiben müssen, weil ein paar Tage später ein Angebot von Peter Alexander kam.

AKB: In welcher Formation musizieren Sie eigentlich am liebsten?

PK: Das ist sehr schwer zu sagen, weil es alles seinen Reiz hat. Es ist so, wie ich immer sage, die Musiker haben ja keine Lieblingslieder, oder? Es gibt so viele tolle Melodien und Standards! Ich könnte nie sagen, was mein Lieblingslied ist. Und ich glaube, deswegen kann ich auch nicht sagen, was meine Lieblingsformation ist. Die Aufnahmen mit den Babelsbergern jetzt haben mir viel Spaß gemacht, weil das gute Streicher sind, die auch hinlangen, und da kommt auch ein bisschen was raus! Aber andererseits ist auch die SWR-Band super. Die gehen los und spielen richtig gut. Oder mein Trio. Das Trio ist sozusagen die Kammermusik, die kleinste Form, und wird am meisten gefordert. Gut, wenn man noch einen Instrumentalisten dabei hat, einen Tenorsaxophonisten oder einen Trompeter, ist das auch schön, dann ist man nicht nur am Überlegen, was man macht. Da kann man sich mal ein bisschen ausruhen und nur begleiten! „Lass den mal was spielen! (lacht) Macht doch mal was alleine, Bass und Trompete, seht mal zu, was ihr daraus macht. Ich höre einfach mal auf!“ Ich bin auch gerne im Fernsehen und singe „You are the sunshine of my life“. Mit großer Freude! Das hat alles seinen Reiz!

AKB: Aber wo können Sie sich musikalisch am meisten einbringen? Wo steckt am meisten Paul Kuhn drin?

PK: Klavier!

AKB: Und gibt es eine Platte oder ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

PK: Also, was mir besonders am Herzen liegt ist die neue Platte. Im Grunde sind es diesmal nicht so populäre Dinge, wie man das jetzt vielleicht erwartet. Es sind Jazztitel, die nicht so ausgetreten und so abgenutzt sind, wie „Limehouse Blues“ und „Softly as in Morning Sunrise“. Oder „St. Louis Blues“, mit Streichern und Solotrompete. Super! Für die Tour werde ich noch zwei, drei Titel machen, die etwas populärer sind, damit die Leute sagen: „Ah!“ Die Leute wollen immer das hören, was sie kennen. Eben auch „Ol’ Man River“. Wenn ich ankündige: „Jetzt kommt ein Titel aus dem Musical Showboat von Jerome Kern“, dann wissen sie es immer noch nicht. Sage ich: „Das wird im Stück von einem schwarzen Bassisten gesungen: Ol’ Man River!“ Dann freuen die sich! Das muss ich spielen, da komme ich nicht drum rum!

AKB: Und wie ist das mit dem „Mann am Klavier“?

PK: Das spiele ich nicht mehr! Ich meine, wenn mich jemand engagiert: „Meine Frau hat 70. Geburtstag und das ist ihr Lieblingslied“, dann spiele ich das Lied – wenn’s denn sein muss. Aber in der Öffentlichkeit? Nein!

AKB: Vor drei Jahren ging es Ihnen gesundheitlich ja leider sehr schlecht.

PK: Das war schlimm. Ich war in Bern im Krankenhaus zum Check, und sie hatten einen Spezialisten, der Carrell heißt. Nicht Rudi, zum Glück! Er hat mich untersucht und gesagt: „Wir müssen sofort operieren!“ Ohne die Operation lag meine Lebenserwartung unter einem Jahr. Also, man kann nicht sagen, heute oder morgen oder in drei Monaten, aber viel länger hätte es nicht mehr gedauert und dann wäre es fertig gewesen. Jetzt haben sie mir Bypässe gelegt, drei Stück an der Zahl, und eine neue Klappe – eine Rinderklappe. Sonst nehmen sie immer Schweineklappen, aber ich sage immer: Schweinefleisch ist so ungesund! (lacht) Aber ich bin relativ schnell wieder auf die Beine gekommen. Nach fünf, sechs Wochen war ein Konzert mit Till Brönner in Duisburg. Mein Trio sollte mit einem anderen Pianisten spielen. Xaver Ohnesorg, der Intendant des Klavier Festival Ruhr, sagte: „Wenn Du natürlich meinst, Du traust Dir das zu…“ Es ist ja doch eine Anstrengung. Und dann habe ich den zweiten Teil gespielt. Aber wenn man gesundheitlich nicht auf der Höhe ist, da merkt man erst, was man da normalerweise macht. Sonst spielt man Klavier wie man Rad fährt oder Ski läuft: Man spielt eben! Aber ich saß da, wir haben zwei, drei Titel gespielt. Till hat schöne Sachen vorgelegt, da will man sich natürlich auch nicht lumpen lassen und schön spielen. Und da bin ich dann doch etwas zittrig und blass von der Bühne gegangen. Till sagte immer: „Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht! Der spielt Klavier! Das ist nicht zu fassen!“

AKB: Was ist das Wichtigste für Sie im Leben?

PK: Ja, das ist schwer zu sagen. Ich kann immer sagen: Musik! Ja gut, das ist dann ein bisschen blöd. Aber es ist einfach so. Es ist das Wichtigste! Ich bin mit Musik groß geworden. Ich bin ein sehr schweigsamer Mensch, ich sage nicht viel, ich denke nach: Was könnte man machen? Wie könnte man das harmonisieren? Wie wäre das vielleicht mal? Vielleicht hat das noch keiner gemacht!

AKB: Haben Sie Pläne für die Zukunft?

PK: Also, erst einmal möchte ich, dass mein Leben sich nicht groß verändert. Ich hoffe, dass alles so bleibt, wie es ist, solange ich noch Musik machen kann. Mein größter Wunsch ist, dass ich nicht verblöde, aber das wollen wir nicht meinen. Außerdem, dass die Finger noch einigermaßen mitspielen, dass ich noch ein bisschen arbeiten kann und dass mir meine Musik noch bis zum Ende erhalten bleibt! Das wäre schön!

AKB: Vielen Dank und alles Gute!

CURTIS STIGERS