JOSS STONE

Ann Kathrin Bronner: Joss, ich hoffe, der Name Ihres neuen eigenen Labels – Stone’d Records – ist keine Anspielung…
Joss Stone: Wer weiß…
AKB: Ist es nicht sehr mutig, in diesen Zeiten ein Label zu gründen?
JS: Ich schätze schon, aber für mich gibt es keinen anderen Weg. So habe ich einfach viel mehr Spaß: Ich kann kreativ arbeiten, wann ich will, mit wem ich will und wo ich will. Diese Freiheit zu haben, ist einfach nett.
AKB: Aber noch vor einigen Jahren haben Sie in einem Interview erwähnt, dass Sie lieber keinen Vertrag mit einer Plattenfirma hätten, weil Sie Ihre Musik dann kostenlos anbieten könnten. Ist das auch jetzt noch Ihre Einstellung, da Sie Businessfrau mit eigenem Label sind?

JS: (lacht) In dem Interview wurde ich gefragt: “Was halten Sie von kostenlosen Downloads?” Und ich sagte: „Nun, so können Menschen, die sich Musik nicht leisten können – oder die nicht wissen, ob sie sie kaufen möchten – sie herunterladen und anhören. Und dann entscheiden, ob sie dafür bezahlen möchten oder nicht.“ Letzten Endes muss ich ihnen ja diese Möglichkeit nicht geben, da sie die bereits haben. Im Internet gibt es sie ja. Ich denke also nicht, dass es etwas besonders Schlimmes ist. Musik muss man teilen, wissen Sie? Und es ist ein ungeheures Kompliment, wenn jemand für Ihre Musik bezahlt. Ehrlich! Das ist es wirklich, denn Sie müssen es nicht. Wirklich niemand muss das. Es ist also ein Kompliment, wenn sie es tun.

AKB: In Ihrer Position können Sie das leicht sagen, denn Sie verkaufen ja Platten. Aber es gibt so viele andere Musiker, die nicht von dem leben können, was sie tun. Und wenn sie ihre Musik nicht verkaufen könnten, weil sie kostenlos ist, wäre es ja noch schwieriger für sie.

JS: Nun, das wäre es. Aber deswegen ist es ja auch ein Kompliment, wenn Menschen sie kaufen. Das meine ich ja. Und letzen Endes habe ich nie einen Cent aus meinen Plattenverkäufen gesehen. Ich verdiene mein Geld durch meine Tour. Und das gilt nicht nur für mich, sondern für jeden, der einen Plattenvertrag bei einem Major unterschrieben hat. Denn das ist Teil des Deals, den Sie unterschreiben. Das ist alles sehr kompliziert. Ich meine, wir schauen, dass es irgendwie funktioniert, und einen Musiker, der Musik wirklich liebt, kümmert das nicht wirklich. Er macht es trotzdem. Nichts kann einen Musiker daran hindern, Musik zu machen. Das ist, als ob Sie einen Menschen am Atmen hindern. Er hört nicht einfach auf. Niemals! Ob er pleite ist oder nicht. Ich sage immer: Es ist gut, genug Geld zu haben, damit ich die nächste Platte machen kann.

AKB: “LP1” ist ein treffender Name für das aktuelle Album, denn es markiert einen Neuanfang, eine neue Ära…

JS: Es ist wie eine Wiedergeburt. Das gilt für jedes Album, aber dieses Mal ist es definitiv eine Wiedergeburt. Und deshalb habe ich es auch so genannt.

AKB: Für “LP1” haben Sie sich dafür entschieden, mit Dave Stewart zusammenzuarbeiten. Bis zu welchem Grad hat er Sie und die Musik des Albums beeinflusst?

JS: Er IST die Musik auf dem Album. Er hat sie nicht nur beeinflusst, das ist er. Er ist die Musik.

AKB: In welcher Hinsicht?

JS: Nun, er hat sie gespielt, er hat sie geschrieben.

AKB: Aber Sie haben sie interpretiert; also sollte doch auch Joss auf dem Album zu finden sein.

JS: (lacht) Nun ja, ganz offensichtlich. Denn ich bin die, die singt. Ich habe die Songs mit Dave und mit einigen anderen geschrieben, und ich habe sie gesungen. Aber, um ehrlich zu sein, wenn Sie die Musik hinter den Songs und die Musik in den Songs hören, die verschiedenen Schichten, das alles ist Dave. Natürlich hatte ich auch meine Vorstellungen und wir haben über Dinge diskutiert, aber in meinen Augen ist er die Musik.

AKB: Dave hat auch gerade erst sein eigenes Album, die „Blackbird Diaries”, veröffentlicht. „LP1“ wurde auch in den Blackbird Studios in Nashville, Tennessee aufgenommen. Das scheint derzeit sein zweites Wohnzimmer zu sein.

JS: Stimmt, er liebt es!

AKB: Hat Sie das Studio auch beeinflusst, die Atmosphäre dort?

JS: Oh mein Gott, ja! Die Atmosphäre ist brillant, und es gibt dort definitiv viele gute Schwingungen. Die Musiker sind alle großartig. Und sie finden dort einen wirklich coolen Nashville-Vibe, den Sie nicht überall bekommen können.

AKB: Aber ist es nicht schwierig, seinen eigenen Stil zu bewahren, immer noch Joss Stone zu sein, wenn es all diese Einflüsse gibt: vom Produzenten, vom Studio, von den anderen Musikern? Wie bleiben Sie Sie selbst?

JS: Ich weiß nicht. Wissen Sie, ich bilde mir gerne ein, dass ich keinen Stil habe. Mir gefällt der Gedanke, dass ich einfach ein Teil der Musik bin. Wenn es Hip-Hop ist, bin ich ein Teil hiervon. Wenn es klassischer Motown-Soul ist, bin ich gerne ein Teil davon. Wenn es Rockmusik ist, bin ich eben ein Teil der Rockmusik. Ich möchte ein Teil von jedem Musikstil sein, weil ich Musik liebe. So nähere ich mich diesen Dingen. Ich habe nie das Verlangen, einen Klang haben zu wollen. Ich besitze keinen Klang. Niemand tut das! Ich kann nicht einfach sagen: „Joss Stone hat ihren speziellen Sound, und Sie müssen sich an diesen blablabla-Sound dranhängen.“ Das stimmt einfach nicht. Ich liebe es, mit anderen zu jammen und das zu spielen, was gerade abgeht. Wissen Sie, das macht Spaß, ehrlich. DAS ist der vergnügliche Teil: Verschiedene Stile zu finden und sie zu entdecken. Dann werden Sie ein breites Grinsen in meinem Gesicht sehen!

AKB: Sie haben in der Vergangenheit bereits mit so vielen großartigen Künstlern gespielt. Gibt es irgendjemanden, mit dem Sie gerne zusammenarbeiten würden, ein Album aufnehmen oder Konzerte spielen?

JS: Hm… Ich hätte nichts dagegen, mit Adele zu singen. Nach dem, was ich bisher von ihr gehört habe, ist sie für mich derzeit die beste Künstlerin, also unter den neuen Künstlern. Auch wenn ich schätze, dass sie gar nicht so neu ist. Ich schätze mal, dass ich wieder mal der Zeit hinterherhinke. Aber ich finde, dass sie eine wunderschöne Stimme hat. Mit ihr würde ich gerne einmal singen. Das wäre großartig!

AKB: Sind Sie eigentlich bereits als Kind mit verschiedenen Musikrichtungen in Berührung gekommen?

JS: Ja, ich wurde vielfach beeinflusst. Sie müssen grundsätzlich einfach Ihre Ohren aufmachen. Solange Sie die Ohren aufmachen, ist das Leben gut! Es gibt so viel zu hören, es passiert so viel Verschiedenes in dieser Welt. Halten Sie die Ohren offen und Sie werden jeden Tag von etwas Neuem beeinflusst!

AKB: Was bedeutet Ihnen die Fähigkeit zu hören? Ein hörender Mensch zu sein?

JS: Mein Gott. Wenn jemand zu mir sagen würde: „Wie würden Sie entscheiden: Wären Sie lieber blind oder lieber taub, wenn Sie wählen müssten?“ Das ist für mich eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann. Letztlich ist es so, wenn ich meine Musik hören kann, wenn ich Musik hören kann… Wenn ich nicht hören könnte, wäre ich nicht glücklich. Wissen Sie, es ist schwer vorstellbar, all die Dinge nicht mehr hören zu können, die ich bisher hören konnte. Klänge sind wunderbar. Manchmal gehe ich in meinen Garten und lausche einfach. Es ist so fantastisch: All die Vögel, der Fluss, all diese verschiedenen kleinen Dinge, ich liebe es! Deshalb versuche ich auch, meine Musik so natürlich wie möglich zu halten, denn es ist die Musik, die all diese Menschen machen. Wir alle sind Teil der Natur. Und das finde ich in dieser Welt so bemerkenswert: Dinge, die natürlich sind. Davon fühle ich mich angezogen. Das ist mein Geschmack: Ich liebe die Natur und Klänge…

AKB: Sie hatten auch ein Fotoshooting für die „Hear the World“-Kampagne, sind aber auch in andere soziale und karitative Projekte eingebunden. Spiegelt sich dies auch in Ihrer Musik wider?

JS: Ja, ich schätze schon. Ich meine, ich schreibe über all das, was ich in dem Moment fühle. Und wenn ich gerade mit Leidenschaft an einem Charity-Projekt mitarbeite, dann schreibe ich auch darüber.

AKB: Was ist denn derzeit das wichtigste Projekt für Sie?

JS: Nun, es gibt so viele. Die Sache ist die: Kein Projekt ist wichtiger als ein anderes. Wenn ich zu einer Charity-Veranstaltung gehe oder dort singe, fragen mich die Leute: „Joss, warum ist gerade dieses Projekt so wichtig für Sie?“ Und ich sage: „Im Grunde ist es so: Wenn mich jemand fragt, ob ich kommen und helfen kann, und ich Zeit habe, dann mache ich das.“ Für mich lautet die Frage nicht „warum“, sondern „warum nicht?“ Kein Problem ist schlimmer als ein anderes. Es gibt so viel zu tun. Und deshalb versuche ich, in so vielen Projekten wie möglich zu helfen.

AKB: Sind Sie denn der Meinung, jeder Musiker sollte sich sozial engagieren?

JS: Das einzige, was er tun muss, ist: Musiker zu sein. Und wenn er für etwas eine Leidenschaft entwickelt, dann ist es eine nette Zugabe, wenn er sich karitativ engagiert. Aber ich finde nicht, dass er es notwendigerweise muss. Wissen Sie, er arbeitet nicht in der Wohlfahrt, sondern er ist Musiker. Also sollte er auch nicht den Druck spüren, dass er dabei gesehen werden muss. Ich finde, es ist einfach eine nette Zugabe ist.

AKB: Sie glauben also nicht an die politische Botschaft in der Musik?

JS: Oh doch. Aber es geht doch darum, dass es für Sie richtig ist. So, wie ich mein Leben heute lebe, die Entscheidungen, die ich getroffen habe, all das habe ich gemacht, um die Freiheit zu haben, das zu tun, was sich für mich richtig anfühlt. Und wenn es sich richtig anfühlt, einen Song zu schreiben, der insbesondere politisch ist, und wenn Sie dafür brennen, dann sollten Sie das tun. Wenn nicht, sind Sie deshalb kein schlechter Mensch. Es bedeutet nicht, dass Sie das, was Sie tun sollten, nicht tun: es bedeutet nur, dass Sie sich nicht danach fühlen, darüber zu schreiben. Es ist einfach ein individuelles Bedürfnis. Jeder hat ein anderes Bedürfnis. Ich sage immer: Leben und leben lassen. Ich selbst finde, dass es immer Wert ist zu protestieren. Wenn man etwas zu sagen hat, dann soll man es auch laut und stolz sagen. Und ich schätze mal, wenn ich etwas zu sagen habe, dann sage ich es. Vielleicht handle ich mir dadurch Ärger ein; aber, hey, für mich ist das okay! (lacht)

AKTUELLES ALBUM
LP1
2011 Stone’d Records (Sony Music)
EAN: 885150334188

MELANIE C.
TOP-TEN 8.Juli