LYAMBIKO

Something Like Reality

Afrikanisches Rhythmusgefühl trifft auf eine klassische musikalische Ausbildung, Improvisation auf einen eigenwillige Persönlichkeit: Diese Mischung verleiht der Musik von LYAMBIKO die Würze. Beim ECHO Jazz 2011 wurde in der Kategorie Beste Sängerin National eine der interessantesten Künstlerinnen ausgezeichnet, die die deutsche Jazzszene zu bieten hat: Lyambiko. Die Sängerin aus Thüringen mit deutsch-afrikanischen Wurzeln überzeugt mit ihrem gleichnamigen Quartett LYAMBIKO mit Coverversionen ebenso wie mit eigenen Titeln.

Ann Kathrin Bronner: Lyambiko, Sie sind in der DDR aufgewachsen. Wie war Ihre Kindheit?

Lyambiko: Ich bin recht behütet aufgewachsen, und Musik war Mittelpunkt meiner Kindheit. Ich habe immer schon Musik gemacht, war an der Musikschule, habe im Chor gesungen, Saxophon und Klarinette gelernt. In meiner Familie wurde es schon sehr hoch geschätzt, Musik zu machen. Aber sich Musik zur Profession zu erheben, war nicht gerade angesehen. Meine Oma hat immer Sprüche losgelassen über das Musikerleben oder das Künstlerleben an sich.

AKB: „Mach doch was Richtiges, Kind!“

Lyambiko: Genau. Hätte ich jetzt gesagt, ich will nur Musik unterrichten, dann wäre das absolut in Ordnung gewesen. Aber zu sagen: „Ich gehe auf die Bühne und mache das wirklich als Beruf“, kam nicht so gut an. So richtig ernst genommen wurde ich nicht. Ich denke, ich war schon ein schräger Vogel, weil ich eben Louis Armstrong gehört habe, während andere eher Michael Jackson gehört haben. Was ich natürlich auch mochte. Aber mit meinem Nischengeschmack war ich schon irgendwie was Spezielles. Das konnte auch nicht jeder nachvollziehen. Man sucht dann nach Seelenverwandten, mit denen man die Musik eben auch ausleben kann. Da bin ich dann durchaus fündig geworden und hatte an meiner Schule meine eigene kleine Band. Wir haben Tracy Chapman und Eric Clapton gecovert, haben uns aber auch mit Jazz beschäftigt.

AKB: Was finden Sie eigentlich schwieriger: Einen Song zu covern und ihm einen eigenen Stempel aufzudrücken? Oder einen neu komponierten Song von einem Ihrer Bandmitglieder oder von sich selbst zu singen?

Lyambiko: Ich finde es schwierig, die Frage zu beantworten. Beides ist schwierig. Beides hat seine Herausforderungen. Wenn ich einen Coversong neu interpretieren will, muss ich trotzdem meine eigene Stimme finden – wie ich das genauso tun muss, wenn ich den Song von einem meiner Kollegen singen möchte.

AKB: Wobei der neue Titel ja noch nicht bereits in einer bestimmten Version gesungen wurde. Ist es nicht leichter, einen selbst komponierten Song zu interpretieren?

Lyambiko: Das finde ich ehrlich gesagt nicht. Man will ja trotzdem die richtige Stimmung treffen, den richtigen Ton zum Klingen bringen. Man muss ja trotzdem seinen Weg finden, das Stück zu interpretieren. Man kann nicht einfach sagen: „So ist es richtig, so ist es falsch.“ Für mich gibt es nur einen Weg, der wirklich stimmt, und den muss ich finden. Es bringt ja jeder sich selbst und seinen eigenen Geschmack mit ein. Ich habe eine gewisse Vorstellung, wo ich den Song haben möchte, und natürlich hat auch der Komponist seine Vorstellung, wo er den Song hört. Unser Bassist Robin hat mir einen Song quasi auf den Leib geschrieben. Er hat gesagt, er habe genau gehört, wo ich stehe – und das hat sich trotzdem von dem unterschieden, wo ich mich in dem Song höre. Da muss man den richtigen Weg finden, mit dem beide zufrieden sind.

AKB: Wobei bei Covern natürlich eine Version oder Interpretation schon „vergeben“ ist. Es macht ja keinen Sinn, Crossroads genau wie Tracy Chapman zu singen.

Lyambiko: Absolut. Es ist eben die Herausforderung, sich den Song zu eigen zu machen. Aber ich mag es auch nicht, wenn man sagt: „Es muss schlicht und einfach anders klingen!“ Denn wenn man sich selbst in diesem „anders“ nicht gefunden hat, kann man es vergessen. Dann kann man den Song auch wieder kippen.

AKB: Sie würden dann den Song lieber nicht covern?

Lyambiko: Ja, ich würde eher sagen: „Dann nehme ich ihn nicht. Wenn ich meine eigene Stimme in dem Song nicht finde, dann lasse ich es!“

AKB: Ist die eigene Stimme ein wichtiges Thema in Ihrem Leben? Sie sind in Greiz in Thüringen ohne Ihren leiblichen Vater aufgewachsen.

Lyambiko: Ich hatte wirklich Jahrzehnte lang das Gefühl gehabt, ein Teil von mir fehlt. Besonders in meiner Kindheit habe ich ihn schmerzlich vermisst. Als Teenager kam ich in eine Band, und dort habe ich dann herausgefunden, dass mein Vater, als er in Deutschland gewesen ist, genau in dieser Band Musik gemacht hat. Und das war für mich die erste Spur auf dem großen Geheimnis.

AKB: Konnten Sie hier endlich auch persönliche Dinge über Ihren Vater erfahren?

Lyambiko: Überhaupt erst einmal etwas über meinen Vater erfahren, denn es war ganz lange ein großes Familiengeheimnis: Der Vater weg, wieder in Tansania, nichts zu erfahren. Das ist ein Thema, das mich sehr lange beschäftigt hat. Und dann höre ich plötzlich Aufnahmen von ihm, Aufnahmen, die zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt waren. Das war unglaublich! Ein halbes Jahr vor meinem 30. Geburtstag habe ich dann das erste Mal mit ihm Kontakt aufgenommen und ihn auch gleich besucht.

AKB: Ist er noch Musiker?

Lyambiko: Nein. Er war auch nie Vollzeit-Musiker, es war mehr oder weniger ein Hobby. Er lebt heute in einem kleinen Ort in Tansania in der Nähe von Arusha, singt im Kirchenchor und ist, wie man so schön sagt, ein wertvolles Mitglied der Gemeinde. Es war wirklich ein tolles Treffen. Als er mitbekommen hat, wie ich meine Brötchen verdiene, war er natürlich sehr stolz. Aber das Verständnis für die Musik, die ich jetzt mache, hat er nicht so unbedingt gehabt (lacht).

AKB: Und blieb es ein einmaliger Kontakt? Nach 30 Jahren ist es bestimmt nicht einfach, Bindungen aufzubauen.

Lyambiko: Ja, es ist auch schwierig, das muss ich gestehen. Ich hatte natürlich die Hoffnung, dass dann ein regelmäßiger Kontakt besteht. Aber es ist bis jetzt bei diesem einen Besuch geblieben. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir den Kontakt besser aufrechterhalten könnten, aber das liegt auch an mir. Ich müsste ja den Antrieb, den Impuls haben und den Kontakt mehr suchen. Aber ich bin zufrieden zu wissen, dass er lebt, dass es ihm gut geht, dass er Familie hat. Das hat mich total ausgeglichen.

AKB: Haben Sie deshalb ein Kinderchorprojekt mit afrikanischen Liedern ins Leben gerufen? Und könnte das irgendwann auch einmal mit Ihren Kindern wieder aufleben?

Lyambiko: Das wäre durchaus vorstellbar. Ich will meinen Kindern nicht aufzwingen, dass sie sich mehr mit Musik beschäftigen, als es für andere Kinder normal wäre. Ich will nicht so sehr Einfluss darauf nehmen, wofür sie sich interessieren. Mein Sohn singt wahnsinnig gerne. Aber bei ihm ist das etwas spezieller. Er ist schwerbehindert und wird daher niemals mit einer regulären Combo arbeiten können. Meine Tochter ist jetzt drei, und sie singt natürlich gerne, aber sie malt auch wahnsinnig gerne und scheint mir da auch sehr talentiert zu sein. Ich denke, ich werde ihr, wenn die Zeit gekommen ist, die Möglichkeit bieten, dass sie sich mit dem beschäftigen kann, was sie interessiert. Aber sicher werde ich sie nicht irgendwie formen, auch wenn sie gezwungenermaßen alles mitbekommt, was ich tue: Ich lebe seit August letzten Jahres in der Schweiz, und sie geht nicht in die Kindertagesstätte, sondern ist rund um die Uhr zuhause. Wenn ich mich mit Musik beschäftige, bekommt sie das zumindest nebenbei mit und muss da in gewisser Weise durch. Sie war auch mit drei Monaten schon in jeder großen deutschen Stadt, als wir die Tour mit Curtis Stigers gespielt haben.

AKB: Aber Curtis war sicher ein guter Babysitter, oder?

Lyambiko: (lacht) Er war zwar auch mit anderen Dingen beschäftigt, aber er war sehr begeistert von ihr. Ich glaube, er hatte sich auf Anhieb in sie verliebt und konnte wirklich nie an ihr vorbeigehen!

AKB: Eine Tour mit Curtis Stigers, das klingt, als ob Sie es definitiv geschafft hätten. Den Schritt zur professionellen Sängerin haben Sie aber nicht in mit Ihrer Schülerband gewagt, sondern mit Ihrem Quartett.

Lyambiko: Ich kam nach der Schule nach Berlin und hatte zu der Zeit mit Musik nicht so wirklich was am Hut. Ich war auf dem großen Selbstfindungsweg und habe erst einmal begonnen, Musikwissenschaften zu studieren, habe dann aber relativ schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Ich bin dann während des Studiums in die Jazzszene hineingeschlittert und habe festgestellt: „Oh, Du würdest eigentlich wahnsinnig gerne mal wieder selbst singen und nicht einfach nur dasitzen, zuhören und analysieren.“ Ich bin auf Sessions gegangen und habe gesungen. Es waren nicht viele, ich war auch zu scheu. Und wie das eben auf den Session abläuft, hatte ich das Gefühl – was heißt Gefühl, es ist ein Fakt –, dass auf den Sessions Sänger oder speziell Sängerinnen nicht so ernst genommen, dass sie nicht wirklich als Musiker wahrgenommen werden.

AKB: Wird das so eingeschätzt, als ob jemand zum Karaoke geht?

Lyambiko: (lacht) Nicht unbedingt. Ich habe das Gefühl, auf einer Session geht es weniger darum, was die Sängerin bringt, als darum, wie sie dort auftaucht. Ich habe mich in eine Rolle hineingedrängt gefühlt, in der ich mich nicht wohl gefühlt habe. Deswegen bin ich immer sehr sparsam mit meinen Auftritten gewesen, doch auf den Sessions habe ich auch nach und nach meine Musiker kennengelernt. Die Chemie zwischen uns hat gestimmt und wir konnten direkt loslegen. Wir sind haben dann fünf Stücke aufgenommen, sie als Demo benutzt und sind losgezogen.

AKB: Und sind von Club zu Club getingelt?

Lyambiko: Wir sind getingelt, definitiv. Und wir haben wirklich überall gespielt, wo sich eine Möglichkeit aufgetan hat. Aber aus diesem Grund ist die Band zusammengewachsen. Man lernt sich musikalisch kennen und weiß genau, wo man sich wie auf wen verlassen kann. Und durch das viele, viele Spielen unter jeder Bedingung – verstärkt, unverstärkt, unter schönen und nicht so schönen Bedingungen – haben wir auch unseren Sound gefunden.

AKB: Hatten Sie sich zu Beginn die Grenze gesetzt: Wenn ich nach 5 Jahren immer noch nicht von der Musik leben kann, mache ich etwas anderes?

Lyambiko: Nein. Für mich war damals schon das Ziel, irgendwann einmal vom Singen leben zu können. Aber als ich das erreicht hatte (lacht), hat es nicht allzu lange gedauert, bis ich das Gefühl hatte: Ich möchte eigentlich nicht unbedingt davon leben MÜSSEN. Zu sagen, man kann davon leben, ist schön. Aber zu sagen, man muss davon leben, ist nicht so toll. Man macht sich irgendwo zum Sklaven, und ich habe dem auch relativ bald gegengesteuert. Ich will eben frei sein, wenn ich die Musik mache.

AKB: Aber ist man, wenn man kommerziellen Erfolg und einen Plattenvertrag bei Sony Music hat, noch frei?

Lyambiko: Ich denke, mir wird ziemlich viel Freiheit gelassen. Ich habe nicht das Gefühl, Vorschriften gemacht zu bekommen. Wenn jetzt jemand käme und sagen würde: „Du musst ein Weihnachtsalbum aufnehmen“, dann würde ich höchstwahrscheinlich sagen: „Nein. Das will ich nicht, dabei sehe ich mich nicht.“ Gut, manchmal muss ich eben durchsetzen, was ich will, auch bei meinen Kollegen. Ich hatte wahnsinnig Lust auf das Nina Simone Album, und davon waren nicht alle sofort überzeugt. Als wir aber ins Studio gegangen sind und unser Pianist an dem riesigen Flügel gesessen und gespielt hat, da wusste er, was ich wollte und was ich meinte. Er hat einfach gemerkt, dass es für mich persönlich wirklich sehr wichtig war und ich zu der Musik eine sehr emotionale Bindung habe.

AKB: Das klingt, als wenn man einem Kind einen Lolly verspricht, wenn es keine Lust hat, spazieren zu gehen. Er bekommt eben seinen Flügel.

Lyambiko: (lacht) Ja, das trifft es ziemlich genau! Ich bekomme aber auch Feedback von außen, von Freunden, die nichts mit Musik zu tun haben. Das Schöne ist: Ich mache, was ich will, was mir am Herzen liegt. Und ich habe das Glück, dass alle mitziehen. Das ist absolut nicht selbstverständlich. Aber wenn ich etwas will, und dann tue ich das und versuche mein Glück… Ich lebe schlicht und einfach mit der Gefahr, dass irgendwann vielleicht jemand sagen wird: „Nee, Du verrennst dich, da bin ich nicht dabei. Schluss!“ Die Gefahr besteht, aber damit muss man leben (lacht).

Lyambiko-SLR-Press-Foto-1---«-Uwe-Arens

BIOGRAPHIE
1978 Lyambiko wird in Greiz (Thüringen) als Tochter eines Tansaniers und einer Deutschen geboren. In ihrer Kindheit genießt Lyambiko Unterricht in Saxophon, Klarinette und klassischem Gesang.
1995 Die Sängerin gründet ihre erste Band, mit der sie bei einem Bandcontest ihre erste
Studioaufnahme gewinnt.
1999 Lyambiko zieht nach Berlin, um Musikwissenschaften zu studieren. Es folgen erste Konzerte in Berliner Jazzclubs sowie ein regelmäßiges Engagement mit dem Duo LYAMBIKO – Strange Fruit.
2000 Im April erhält sie die Chance, im legendären A-Trane aufzutreten.
2001 Das Quartett LYAMBIKO wird gegründet; seit dem ersten Auftritt im April ist es mit einer Mischung aus Swing, Latin und Soul-Jazz ständig auf Tournee; außerdem erscheint das erste Album Out Of This Mood (Nagel / Heyer).
2003 Das Album Shades Of Delight erreicht in den deutschen Jazz-Charts Platz 2.
2005 Nach dem Wechsel zu Sony erscheint Lyambiko, das vom Deutschen Phonoverband mit einem Jazz Award ausgezeichnet wird.
2007 Für Inner Sense (Sony) steuert Lyambiko erstmals zwei eigene Songs bei; die Sängerin beginnt eine Arbeit mit einem Kinder- und Jugendchor in verschiedenen Projekten, die sich mit afrikanischer Musik beschäftigen.
2010 Im Juni erscheint das mittlerweile 7. Album Something Like Reality.
2011 Am 17. Juni erhält Lyambiko den ECHO Jazz als Sängerin des Jahres National.

DISKOGRAPHIE (Auswahl)
Something Like Reality
2010 Sony Music
EAN 0886976370923

Saffronia
2008 Sony/BMG
EAN 0886974913528

Shades Of Delight
2003 Nagel Heyer Records
EAN 0645347700420

TERMINE
03.07.11 Wiesbaden, Jazz im Hof
09.07.11 – Stuttgart, Jazz Open
02.12.11 – Flensburg, Orpheustheater

INFORMATIONEN
www.lyambiko.com

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